Die Brueder des Kreuzes
Streich ist, und zwar ein tödlicher Streich. Doch bevor ich entscheide, was ich tun werde, gibt es noch eines, was ich von Euch verlange, denn Robert hat recht. Auch ich mache mir Gedanken wegen der Frau. Holt Euren Sohn her, Henry, und zwar sofort. Ich muss mit ihm sprechen, und niemand wird es wagen, ihn hier zu behelligen, solange ich da bin.«
Er trat zu dem Stuhl hinüber, auf dem die beiden gekreuzten Schwerter lagen, warf de Sablé das seine zu und stützte sich auf sein eigenes wie auf einen Wanderstab.
»Jetzt ist es spät, und Robert und ich müssen ein wenig schlafen, bevor wir eine derart wichtige Entscheidung treffen, wie ich sie erwäge. Also bringt uns zu unseren Schlaflagern, mein Freund, und dann lasst den Jungen holen. Sorgt dafür, dass er hier ist, wenn wir aufwachen. Und wenn wir gefrühstückt haben, sprechen wir mit ihm.«
2
A
M NÄCHSTEN MORGEN fand Sir Henry seinen Sohn schlafend auf einer Bank in der großen Halle und blieb einige Minuten lang vor ihm stehen, um ihn zu betrachten. Seine Kleider waren zerschlissen, sein Haar und sein kurzer Bart ungepflegt, sein Körper roch ungewaschen und sein Gesicht war deutlich von der Einsamkeit der zwei Monate in seinem Versteck gezeichnet. Er wusste nicht, wie lange sein Sohn schon hier schlief, doch es war bereits nach zwei Uhr in der Nacht gewesen, als er seinen Stallmeister Jonquard losgeschickt hatte, um den Jungen zu holen, und jetzt war es kurz vor sieben, also konnten sie noch nicht länger als eine Stunde hier sein.
Er hörte Geräusche aus dem Vorzimmer, wo die Dienstboten die Überreste der letzten Nacht wegräumten, und er beschloss, den Jungen so lange wie möglich ungestört schlafen zu lassen, denn er glaubte nicht, dass seine Gäste vor Ablauf der nächsten Stunde aufstehen würden.
Er begab sich in die Küche, wo er dem Koch die Anweisung gab, heißes Wasser für ein Vollbad vorzubereiten und es hinauf in die Gemächer des Herrn transportieren zu lassen. Dort sollte man Feuer anzünden und ihn rufen, wenn das Bad fertig war.
Wenn der Koch daran etwas Ungewöhnliches fand, so ließ er es sich nicht anmerken. Sir Henry hatte die hölzerne Badewanne in seiner Kammer seit dem Tod seiner Gemahlin nicht mehr benutzt, sondern noch vor zwei Monaten genau wie alle anderen Haushaltsmitglieder in der Küche gebadet. Er nickte nur und sagte seinem Herrn, es werde unverzüglich geschehen.
Dann begab sich Henry zum Turm des Haupttores, wo er eine Weile die Szenerie jenseits seiner Mauern betrachtete und nach Hinweisen darauf suchte, dass er und die Seinen unter Beobachtung standen. Als ihn nach etwa einer halben Stunde ein Dienstbote aufsuchte, um ihm zu sagen, dass sein Bad fertig sei, ging er André wecken.
Bei der ersten Berührung sprang André mit weit aufgerissenen Augen auf und sah sich um, als fragte er sich, wo er war. Doch Henry beruhigte ihn.
»Ich nehme an, du hast nicht viel geschlafen.«
André kniff die Augen zu, um den Schlaf zu vertreiben.
»Lange genug, Vater. Ich hatte schon fast sieben Stunden geschlafen, als Jonquard mit deiner Nachricht gekommen ist; ich bin also gut ausgeruht. Ich habe mich nur hier hingelegt, weil das Haus bei meiner Ankunft still war, und ich muss eingedöst sein. Was ist denn? Warum hast du nach mir geschickt?«
»Herzog Richard ist hier. Er ist letzte Nacht hier eingetroffen, allein bis auf einen anderen Ritter, und ich habe ihm deine Geschichte erzählt. Er hat mir viele Fragen gestellt, doch er glaubt dir. Bevor er allerdings etwas tun kann, muss er noch mehr wissen, und ich konnte ihm nicht helfen. Also hat er mir befohlen, dich zu rufen.«
Er lächelte auf seinen Sohn hinunter.
»Aber so, wie du aussiehst … und riechst … kannst du keinem Herzog und künftigen König gegenübertreten. In meiner Kammer wartet ein frisches heißes Bad auf dich. Geh und benutze es, dann richte dich ordentlich her. Zieh dir etwas Gutes an, damit du wie ein Ritter aussiehst, nicht wie ein Bettler. Lass dir Zeit. Es gibt keinen Grund zur Hast, denn Richard ist noch nicht aufgestanden. Wenn er nach unten kommt, wird er mit mir frühstücken, und er hat letzte Nacht gesagt, dass er dich gleich danach sehen will. Schlaf also nicht im Bad ein, so groß die Versuchung auch sein mag. Ich lasse dich holen, wenn es Zeit ist.«
Andrés Erleichterung war nicht zu übersehen, und Henry empfand genauso. Im nächsten Moment war der Junge verschwunden, um den Wünschen seines Vaters nachzukommen.
Nicht lange danach
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