Die Brueder des Kreuzes
war das Letzte, was man Robert de Sablé vorwerfen konnte, und die ungezügelte Verderbtheit unter den Priestern auf allen Stufen der Kirchenhierarchie war für ihn nichts Neues. Doch sein Wissen und seine kritische Haltung waren durch einen radikalen Umstand ganz besonders geschärft worden: Robert de Sablé war Mitglied der geheimen Bruderschaft von Sion. Er war an seinem achtzehnten Geburtstag in den Orden aufgenommen worden und hatte sein Leben seitdem mit dem Studium der Lehren und der Archive des Ordens verbracht und viel über die Irrwege und die fehlgeleitete Politik der katholischen Kirche in den letzten tausend Jahren gelernt. Gewiss, die Korruption innerhalb der Kirche war ein weltliches Phänomen, und ihr Zynismus schrie geradezu danach, dass jemand diesem Tun ein Ende setzte. Doch Mord und Vergewaltigung, wie sie hier geschehen waren, überstiegen alles, was er bisher gehört hatte oder sich vorstellen konnte.
Er richtete sich auf.
»Mein Herr und Herzog«, sagte er, und seine Frustration war nicht zu überhören. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer, dass ich überzeugt bin, dass wir hier gerade die Wahrheit gehört haben. Doch gleichzeitig muss ich zugeben, dass ich froh bin, dass die Last der Verantwortung nun auf Euren Schultern ruht und nicht auf meinen. Ihr seid der Herzog von Aquitanien, und diese Angelegenheit fällt voll und ganz in Eure Zuständigkeit. Ich fürchte, ich kann Euch nicht diktieren, wie Ihr weiter vorgehen sollt.«
Richard erhob sich und begann erneut, durch das Zimmer zu schreiten. Er rieb unablässig die Hände aneinander, und aus seinen Augen leuchtete eine Leidenschaft, die Henry mit Freude und zugleich mit einer dumpfen Vorahnung bemerkte.
Im Lauf der Jahre, die er mit der Erziehung und Ausbildung des Jungen zugebracht hatte, hatte er gelernt, Richard Plantagenet zu lesen wie ein offenes Buch, und jetzt musste er feststellen, dass er den Herzog leidenschaftslos beobachtete und schon erriet, was dieser sagen würde, bevor Richard den Mund aufmachte.
Wenn es darum ging, rasch und unkonventionell zu urteilen und zu entscheiden, bewies Richard immer wieder zuverlässig, dass kein anderer Mann in der Christenwelt, nicht einmal sein weithin gefürchteter Vater, ihm an Zielstrebigkeit, Präzision und Entschlossenheit gleichkam. Richard war hochintelligent, zynisch, launisch, maßlos ehrgeizig, gnadenlos intrigant und dazu ein Krieger von Kopf bis Fuß – ganz gleich, was er vorschlagen würde, Henry wusste, dass es simpel, sauber, direkt und drastisch sein würde.
Henry legte die Hände in den Schoß und verschränkte die Beine. Richard würde mit seinem Urteilsspruch nicht mehr lange auf sich warten lassen – und Henry hatte ohnehin den Verdacht, dass sein ehemaliger Zögling seinen Entschluss schon vorab gefällt und de Sablé nur aus Höflichkeit um seine Meinung gebeten hatte.
»So sei es«, sagte Richard. »Ich bin ganz Eurer Meinung. Als Herzog von Aquitanien fällt die Entscheidung, was hier zu tun ist, allein mir zu. Wenn wir heute von hier fortreiten, Robert, werden wir diesem rachsüchtigen Dummkopf von einem Baron, diesem de la Fourrière, einen Besuch abstatten, und es soll mich doch sehr wundern, wenn er mir ungeschoren entrinnt. Ich habe genug dringende Probleme, ohne mich darum kümmern zu müssen, irgendwelchen bedeutungslosen Vasallen in den arroganten Hintern zu treten. Und wo wir gerade von Arroganz sprechen, noch vor unserem Aufbruch werde ich einen Hauptmann und vier Männer losschicken, um diesen unheiligen Abt von Sainte Mère festzunehmen … wie war noch sein Name? Thomas?«
Diese Frage war an Henry gerichtet, der mit einem Nicken antwortete.
»Nun, genau wie seinem Namensvetter wird auch ihm das Zweifeln vergehen, wenn er in Ketten zu mir geführt wird.«
De Sablé breitete die Hände aus.
»Und dann, Herr?«
»Und dann werde ich ihnen in vierfacher Autorität gegenüberstehen und als Graf von Poitou, in dessen Domäne sie ihre Macht ausüben, über sie Gericht halten, als Graf von Anjou, als Herzog von Aquitanien und obendrein als zukünftiger König von England und Sohn eines Vaters, der für seine Ungeduld mit lästigen Baronen und vorwitzigen Priestern bekannt ist. Auf meine Anordnung hin werden sie sich augenblicklich einverstanden erklären, diese lächerliche Mordanklage fallen zu lassen – und die nicht minder lächerliche, vor allem aber widerliche Andeutung, Sir André könnte ein Kinderschänder sein.«
Er verschränkte
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