Die Buße - Gardiner, M: Buße - The Liar's Lullaby
Tasia wirklich ermordet wurde, war es eine heimtückische Tat. Der Mörder hätte entweder Tasias Waffe präparieren oder sich Zugang zu Bereichen im Stadion verschaffen müssen, für die man eine Einladung oder einen Generalpass
braucht. Beides ist bei Petty äußerst unwahrscheinlich. Und niemand aus Tasias Umgebung an diesem Abend hat in einem Umkreis von hundert Metern eine Person bemerkt, die Petty ähnlich sah. Andernfalls hätte die Polizei von Anfang an auf sie Jagd gemacht.«
»Stimmt genau«, knurrte Tang. »Außerdem wissen wir inzwischen, dass der tödliche Schuss aus dem Colt M1911 abgegeben wurde, den Tasia in der Hand hatte, als sie auf den Balkon getreten ist. Aber Petty war nicht in der VIP-Suite der Stuntleute. Und auch nicht in den benachbarten Suiten, wo gefeiert wurde. Nirgends auf dem Bildmaterial von dem Konzert ist sie auf einem der nahe gelegenen Balkone zu erkennen.«
Jo fasste zusammen. »Die Chancen, dass Tasia von Petty ermordet wurde, sind also verschwindend gering.«
Tang starrte sie lange an. »Du kannst darauf wetten, dass die Polizei all die giftigen E-Mails von Petty veröffentlichen wird.«
»Du meinst, sie wollen sie als Tasias Mörderin hinstellen.« Jo umklammerte ihre Bierflasche. »Jemand übt Druck auf Bohr aus, damit er die Untersuchung abschließt.«
Tangs Augen blitzten. »Das hab ich dir doch von Anfang an gesagt.«
»Und auch auf dich wird Druck ausgeübt. Über deine Eltern.«
»Beckett, das ist …«
»Verrückt? Von wegen. Erzähl mir lieber, was passiert ist.«
Tang brauchte ein wenig, um den Mund zuzumachen. »Das ATF hat einen Tipp gekriegt, dass Mom und Dad Waffen schmuggeln. Die sind mit ihren Bombensuchhunden in ihre Import-Export-Firma reinmarschiert, und alle mussten
sich mit den Händen über dem Kopf auf den Bauch legen. Auch meine Mom und mein Dad.«
»Das ist ja furchtbar.«
»Jo, sie verkaufen Feuerwerkskörper - sie sind Chinesen. Und natürlich haben die Hunde Hinweise auf Sprengstoff gefunden. Schießpulver. Knaller. Verdammt.« Sie presste die Fingerspitzen an die Schläfen. »Ein anonymer Tipp.«
»Alles in Ordnung mit deinen Eltern?«
»Die sind zäh wie Kautschuk. Die Schimpfkanonaden von Mom werden diese Fahnder so schnell nicht vergessen.« Sie rieb sich die Stirn. »Alles nur ein Versehen, meint die Behörde.«
»Und ich werde auch unter Druck gesetzt.« Jo spürte etwas wie einen kalten Luftzug im Gesicht. »Gabes Einberufungsbefehl wurde abgeändert. Er wird nach Afghanistan versetzt.«
Tang öffete langsam den Mund. »Bist du einigermaßen okay?«
Jo lachte unbeherrscht. »Nein. Okay ist nicht in Sicht. Nicht mal mit einem Teleskop. Das kommt alles von zentraler Ebene, Amy. So dicht und erschreckend, dass es kein Zufall sein kann. Und ich weiß nicht, was ich machen soll. Ob ich es Gabe sagen soll.«
Tang schien wie erstarrt. »Dafür werden wir nie einen Beweis finden.«
»Ich weiß.« Jos Augen brannten. »Also geb ich meinen Bericht ab und bin raus aus der Sache.«
Tang ließ sich zurückfallen.
»Ohne weiteres Material kann ich Tasias Geisteszustand nicht ermitteln. Und das kriege ich nicht. Keine psychiatrischen Daten. Kein Interview mit dem Besitzer der Waffe, aus
der der tödliche Schuss gefallen ist. Ich stecke fest.« Das Brennen in ihren Augen wurde stärker. »Und Gabe muss das Ganze ausbaden.«
Tangs Schultern sackten nach unten. »Tut mir leid, Beckett. Ich mach dir keinen Vorwurf.«
»Schachmatt«, konstatierte Jo. »Die Scheißkerle haben gewonnen.«
Tang erhob keine Einwände. Und mit ihrem Schweigen erlosch auch Jos letzter Hoffnungsfunke. Dieses sinkende Schiff war nicht mehr flottzukriegen. Am liebsten hätte sie ihre Flasche durch den Raum gefeuert.
»Bevor ich hierhergefahren bin, habe ich beim Stabschef des Weißen Hauses angerufen. In einer Nachricht habe ich K.T. Lewicki gebeten, mich anzurufen. Jetzt weiß ich ganz genau, was ich ihm sagen werde. Wir sind am Ende.«
An der Bar brach eine Gruppe Männer in fröhliches Lachen aus. Tang schaute hinüber.
»Ich muss Vienna Hicks Bescheid geben, dass ich die Sache abschließe«, sagte Jo. »Ich finde es furchtbar, sie so im Stich zu lassen, aber … Was ist?«
Tang sah plötzlich aus, als hätte sie ein Glas Stecknadeln verschluckt. »Die Nachrichten.«
Im Fernseher über der Bar beherrschte das Blutbad im St. Francis die Schlagzeilen. Hubschrauberaufnahmen vom Union Square. Wilde Spekulationen über Noel Michael Petty. Lecroix’ letztes
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