Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
ich bei einer alten Dame, die am Theater seit Ewigkeiten als Souffleuse arbeitete.
»Die Viktoria«, sagte sie in strengem Ton. »Ja, an die kann ich mich noch erinnern.« Sie klang nicht, als wären es schöne Erinnerungen. »Aber gekannt habe ich sie eigentlich kaum.«
»Wer könnte denn …?«
»Da müsste ich … Ich überlege … Simone vielleicht … Aber haben Sie bitte ein wenig Geduld. Schauspieler stehen für gewöhnlich nicht so früh auf wie Sie und ich.«
Das Exemplar der Bühnenkünstler, das mich eine halbe Stunde später anrief, zählte offenbar nicht zu den notorischen Langschläfern.
»Simone Kranich«, stellte sich eine Frau mit rauchiger Stimme vor. »Ich war Mitte der Achtziger einige Jährchen in Heidelberg engagiert. Gott im Himmel, ist das lange her! Zurzeit bin ich in Bochum, von wo ich Sie auch anrufe.«
»Und Sie kennen den Namen Viktoria Hergarden?«
Ihr gedehntes »Ja« klang, als hätte sie sie mehr als nur gekannt.
»Fred Hergarden?«
»Freddy? Aber natürlich!« Hier klang schon mehr Sympathie mit. »Freddy hat ja sooo an seiner Vicky gehangen. Sieht man nicht oft im Leben, so eine richtig große, dicke Liebe. Wissen Sie eigentlich, wie und wo Freddy und Vicky sich kennengelernt haben?«
»Ich weiß bisher so gut wie gar nichts.«
»Freddy war ja immer und ewig in Geldnot, als freiberuflicher Kameramann. Mal hatte er einen Job, meist hatte er keinen. Und in Hannover gab es seinerzeit eine kleine Filmproduktion. Eine, die im Gegensatz zu vielen anderen im Geld schwamm. Die Lolly Movies, Gesellschaft mit beschränkter Haftung.«
»Ich ahne, was Sie andeuten wollen …«
»Nichts will ich andeuten. Vicky hat fröhlich auf breiten Betten herumgevögelt, und Fred hat die Kamera drauf gehalten und geschwitzt und vermutlich bald nicht mehr gewusst, wohin mit seiner Geilheit.«
»Sie soll ihm nicht so treu gewesen sein, wie man es bei der großen Liebe erwartet.«
Das fand sie zum Lachen. »Ach Gottchen, Herr …«
»Gerlach.«
»Sie haben eine angenehme Stimme, wissen Sie das?«
»Äh …«
»Eine männliche Stimme, in die man sich am Telefon verlieben kann als Frau. Sind Sie groß?«
»Ja. Aber …«
»Schlank?«
»Ich arbeite daran.«
Inzwischen hatte ich Bilder von Frau Kranich im Internet gefunden. Professionelle Fotos, wie sie Theaterfotografen schießen. Eine herbe Schönheit, in deren Gesicht einige schlimme Erfahrungen ihre Spuren gezeichnet hatten. Andere Bilder stammten von Partys. Auf diesen sah sie zwanzig Jahre älter aus als auf den offiziellen, und meist versuchte sie in angetrunkenem Zustand mit der Kamera zu flirten.
»Sie sind aber nicht dick, ja?«
»Frau Kranich, bitte …«
Wieder das gurrende Lachen. »Schon begriffen. Der Herr ist in festen Händen.«
»Wir waren dabei, dass Frau Hergarden neben ihrer Ehe ein Verhältnis gehabt haben soll.«
»Eines?« Sie kicherte.
»Mehrere?«
»Ich weiß natürlich nicht alles. Da gab es zu Beispiel einen Musiker. Den Namen weiß ich nicht mehr. Jens? Nils? Der war ja so was von verschossen in die niedliche kleine Vicky. Sie hatte etwas an sich, das hat die Männer angezogen wie ein Hundehäufchen die Schmeißfliegen.«
»Jemand sagte mir, einer ihrer Liebhaber sei beim Fernsehen gewesen.«
»Das kann eigentlich nur Marcel gewesen sein. War damals auch am Theater und ein gefürchteter Schürzenjäger. Marcel und Freddy waren dicke Freunde. Haben sich noch vom Studium her gekannt und später sogar einige Zeit im selben Haus gewohnt. Freddy mit seiner Vicky und Marcel mit dieser Giftnudel, deren Namen auszusprechen ich mich bis heute weigere. Das Haus hat übrigens der Unaussprechlichen gehört. Sie war reich von Geburt. Marcel hatte eine blendende Partie gemacht. Bis das mit Vicky passierte. Danach war es plötzlich aus mit der Freundschaft. Freddy war dann ja auch bald weg. Auf Dauer. Im Ausland irgendwo.«
»Und dieser Marcel hatte also mit dem Fernsehen zu tun?«
»Damals noch nicht. Aber er hatte etwas am Laufen. Er war nämlich nicht nur gelernter Schauspieler, sondern hatte auch eine Ausbildung als Regisseur. Als Darsteller war er nicht übel, aber das Bühnenspiel war ihm nicht kreativ genug. Außerdem wollte er Chef sein und sich nicht von dahergelaufenen Idioten über die Bühne scheuchen lassen. Hat ja dann später auch geklappt mit dem Fernsehen. Aber der Einstieg war nicht leicht für ihn. Er hat sich allen möglichen Produktionen angedient. Wieder und wieder. Als Regisseur oder
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