Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
alte Gruppenfoto aus dem Jahr 1988 in Händen. Johann Bolls Gesicht war ein wenig zu gewöhnlich, und er war damals ein Vierteljahrhundert jünger gewesen, sodass ich ihn nicht mit hundertprozentiger Sicherheit wiedererkannte. Dennoch war ich sofort überzeugt, dass er es war – Grafs zweiter Bodyguard war kein anderer als Johann Boll, der ehemalige Polizist. Und plötzlich passte vieles zusammen: Sein Mercedes in Ludwigshafen, die Tatsache, dass er damals die Untersuchungen zu Vicky Hergardens Tod geführt und dabei vermutlich auch mit Marcel Graf zu tun hatte. Sehr langsam legte ich das alte Foto auf den Schreibtisch meiner Sekretärin. Die Puzzleteilchen begannen allmählich, ein Bild zu formen.
Am Monitor meines Laptop pappte eines von Sönnchens gelben Klebezettelchen mit einer Wiesbadener Telefonnummer und dem Vermerk »dringend!!!«. Glücklicherweise hatte auch beim BKA das Wochenende noch nicht für jeden begonnen.
»Es ist wegen diesem Glas …«, begann die Chemikerin des Bundeskriminalamts in rustikalem Pfälzisch und ohne große Umschweife. »Ich sitz bloß noch hier, weil ich auf Ihren Rückruf warte.«
Die toxikologische Untersuchung hatte ergeben, dass das Glas auf Rosalie Jordans Küchentisch Gamma-Hydroxybuttersäure enthielt, ein Mittel, das in höheren Dosen als Schlafmittel oder Narkotikum Verwendung fand. Und in geringer Dosierung als Partydroge.
»Bei starker Überdosierung kann es zu Atemstillstand kommen. Bei der Frau war eine Menge Alkohol im Spiel. Außerdem war sie auch noch krank. Das alles zusammen … Da muss die Dosierung gar nicht so hoch sein.«
»Wie kommt man an das Zeug ran?«
»Offiziell nur über den Pharmahandel. Aber seit es als Liquid Ecstasy gedealt wird, kriegen Sie das Dreckszeug praktisch überall. Den Bericht hab ich schon fertig. Den kriegen Sie in zehn Sekunden. Und dann ist finito für diese Woche.«
Während ich telefonierte, hatte an meinem Apparat ein Lämpchen zu blinken begonnen. »Krauss«, las ich auf dem Display, als ich auflegte, und drückte – immer noch im Stehen – die Rückruftaste.
»Es geht um diese Frau Holland«, begann Oberkommissarin Evalina Krauss mit erschöpfter Stimme. »Sie sind noch da?«
»Sonst hätte ich wahrscheinlich das Telefon nicht abgenommen.«
Für dumme Scherze war sie heute nicht mehr zu haben. »Hätten Sie zehn Minuten?«
»Wenn es um Frau Holland geht, habe ich auch eine Stunde.«
»Ist ein ziemliches Stück Arbeit gewesen«, seufzte die junge Kollegin mit der praktischen aschblonden Kurzhaarfrisur, als sie sich setzte. »Sie und ihr Mann haben sich ungefähr ein Jahr nach dem Unglücksfall getrennt …«
»Der alles Mögliche war, aber ganz bestimmt kein Unglücksfall …«
»Nicht?« Sie sah mich verwirrt an. Offenbar war sie nicht auf dem Laufenden. Aber das machte nichts.
»Wegen dieses sogenannten Unfalls hat es in den letzten Tagen zwei Tote und einen wahrscheinlich vorgetäuschten Mordanschlag gegeben.«
»Ach was …?«
Ich entspannte mich. »Egal jetzt. Was ist aus Frau Holland geworden?«
»Wie gesagt, sie haben sich dann bald getrennt. Der Mann ist nach Köln gezogen. Die Frau hat das Haus vermietet und ist nach Frankreich. Hat mich Stunden gekostet, da weiterzukommen. Aber dann hat es doch geklappt, und ab da war es einfacher: Sie hat einen französischen Filmschauspieler geheiratet, Jean Bressault, falls Ihnen das was sagt …«
Ich schüttelte den Kopf.
»Na ja, so berühmt ist er auch wieder nicht gewesen. Bei Perpignan haben sie gewohnt, im Süden unten, die Liebe hat aber bloß sechs Jahre gehalten …«
Elisabeth Holland hatte in den Jahren in Frankreich nicht weniger als dreimal geheiratet und sich bald wieder getrennt. Nach dem Filmstar war der Bürgermeister eines Städtchens an der Côte d’Azur gekommen und schließlich ein Provinzpolitiker in Bordeaux.
»Und jedes Mal ist sie hinterher ein bisschen reicher gewesen als vorher. Ihr Haus hier in Neuenheim ist die ganze Zeit vermietet gewesen. An eine Firma, irgendwas mit Modeschmuck.« Krauss gähnte, murmelte eine Entschuldigung. »Diese Firma gibt’s aber nicht mehr.«
»Frau Holland ist jetzt wieder in Deutschland?«
»Seit 2008. Da hat sie einen reichen Bankier in Kronberg geheiratet. Viel älter als sie und anscheinend auch nicht mehr ganz gesund. Diesmal hat man sich nicht geschieden, sondern er ist vor zwei Jahren gestorben. Und jetzt hat sie wahrscheinlich noch viel mehr Geld. Und seit vergangenem Jahr wohnt sie
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