Die Entlarvung
Mutter an. Wenn King außer Haus war, machten die beiden Frauen aus ihrer gegenseitigen Abneigung keinen Hehl. »Halt den Mund! Halt bloß den Mund, du Kuh!« Das Lächeln ihrer Mutter trieb sie zur Weißglut.
Marilyn King hatte an der Szene ihre helle Freude. Ihre Tochter sah so häßlich aus, wenn sie weinte. Sie hatte rote Flecken im Gesicht und trottete zur Tür wie ein verwundetes Tier.
»Du kommst noch zu spät zum Essen!« rief Marylin ihr nach.
»Vergiß das verdammte Essen«, schrie Gloria und schlug die Tür zu Kings Arbeitszimmer hinter sich zu. Sie holte den Umschlag aus der Schublade hervor – die Ursache für den schrecklichen Zornesausbruch ihres Vaters. Es war nicht ihre Schuld. Alle Briefe, die als vertraulich gekennzeichnet waren, durften nicht geöffnet werden. So lautete die Regel. Mehr hatte sie nicht gewußt. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, daß je ein Brief mit einer solchen Aufschrift bei ihnen angekommen war. Sie beschriftete einen Adreßaufkleber und begann zu telefonieren.
Was mochte der Brief enthalten, daß der Vater sich dermaßen aufregte? Vermutlich etwas, das mit seinen Geschäften in New York zu tun hatte. Und durch die Verspätung verschlechterte sich seine Verhandlungsposition. Aber wie hätte sie dies ahnen können? Sie schluchzte erneut auf. Dann aber nahm sie sich zusammen und arrangierte die sofortige Weiterleitung der Sendung nach New York, wofür sie einen Wucherpreis zahlen mußte.
Harold King nahm den Brief in Empfang, als er gerade zu einem Arbeitsfrühstück mit dem Finanzdirektor und dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Field Bank aufbrechen wollte. Er ließ den Brief jedoch verschlossen. Für das wichtige Treffen, das ihm bevorstand, brauchte er seine ganze Konzentration. Er konnte sich keine Ablenkung leisten. Der Brief, dessen Herkunft er kannte, hatte eine ganze Woche gewartet. Zwei Stunden länger würden jetzt auch nichts mehr ausmachen.
Die Besprechung zog sich hin und gestaltete sich schwierig. Die amerikanischen Geldgeber verlangten mehr Sicherheiten, als er vorweisen konnte, und ließen sich nicht davon überzeugen, daß dies überflüssig war. Eine Einigung war nicht in Sicht, als sie auseinandergingen. Ein weiteres Treffen wurde für den nächsten Morgen anberaumt. Für die Kreditsumme, die King vorschwebte, fehlten ihm einige Millionen als Garantien. Wenn er für dieses Defizit nicht irgendwelche Bürgschaften auftrieb, würde die Bank ihm den Kredit verweigern.
King verlor nicht die Nerven. Er schmeichelte, scherzte und versuchte, seine Verhandlungspartner mit Freundlichkeiten umzustimmen – erfolglos. Dann wechselte er die Taktik. Er gab sich nicht mehr laut und prahlerisch, sondern zurückhaltend und selbstsicher. Zum Abschied versicherte er, daß er über genügend Quellen verfüge, auf die er zurückgreifen könne, sollte die Bank – unnötigerweise – auf diesen Garantien bestehen. Alles Weitere würden sie am nächsten Tag besprechen.
Die Geldquellen waren tatsächlich ausreichend, nur durfte er sie eigentlich nicht anrühren.
Es handelte sich um die Rentenfonds all seiner Angestellten in England und Kanada.
Nachdem sich die Tür hinter den Bankvertretern geschlossen hatte, fühlte er sich ganz ruhig. Krisensituationen hatten immer diesen Effekt auf ihn. Ihm war eine Lösung eingefallen, und jetzt mußte er die Risiken gegeneinander abwägen. Wenn alles so lief, wie geplant, würde nie etwas von der Anleihe auf die Rentenfonds bemerkt werden. Er hatte schon öfter alles auf eine Karte gesetzt – und gewonnen. Er würde auch jetzt die größte Herausforderung seiner Geschäftskarriere siegreich überstehen.
Er öffnete den Brief und begann den Bericht zu lesen.
Am nächsten Morgen wurde die Besprechung fortgesetzt. King lächelte und verbreitete strahlend gute Laune. Er teilte den Bankmanagern mit, daß er ihre Haltung überdacht habe und ihre Gründe verstehen könne, wenn er sich auch zunächst über das mangelnde Vertrauen gewundert habe. Er sei jedoch selbst ein verantwortungsbewußter Mensch und fände es richtig, wenn sich die Bank ihren Investoren gegenüber verpflichtet fühle. Er würde daher seine persönlichen Geldanlagen als Garantien zur Verfugung stellen. Genauere Informationen würde er liefern, sobald ein vorläufiger Vertrag aufgesetzt würde. Er beendete das Treffen, indem er seinen Geschäftspartnern die Hand drückte und erneut seine Kompromißbereitschaft betonte. Die übrigen Termine, die
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