Die Entscheidung
ihm liebevoll über den Kopf, nahm seine leere Müslischüssel und ging in die Küche. Sie stellte die Schüssel in die Spüle, schaltete die Kaffeemaschine ein und nahm sich eine Banane.
Wie sie gegen die Arbeitsplatte gelehnt so dastand, schweiften ihre Gedanken wieder einmal zu Mitch Rapp.
Die Sache mit dem anonymen Hinweis an die deutschen Behörden, dass es zu einem Einbruch kommen würde, war planmäßig verlaufen. Sie hatten sicherheitshalber auch gleich die Medien verständigt. Auf diese Weise würde das BKA die Sache nicht herunterspielen können. Darüber, was mit Hagenmüller geschehen war, hatte Irene jedoch keine Informationen. Die Anti-Terror-Zentrale hatte die Möglichkeit, die Dinge aus der Ferne zu verfolgen, und dank des Global Operations Center erschien kaum ein Bericht in den Medien, ohne dass die Zentrale in Langley davon binnen fünfzehn Minuten erfuhr. Das Problem in diesem Fall war nur, dass sich Irene Kennedy dumm stellen musste. Sie konnte nicht einmal ihre engsten Mitarbeiter wissen lassen, dass sie von der Sache mit Hagenmüller wusste.
Nachdem Irene die Banane gegessen hatte, sagte sie Tommy, dass er den Fernseher ausschalten und sich anziehen solle. Er gehorchte widerwillig, und fünfzehn Minuten später waren sie aus dem Haus – Irene mit zwei Bechern Kaffee und Tommy mit seinem Football und seinem Gummi-Godzilla. In der Zufahrt zum Haus wartete ein dunkelblauer Ford Crown Victoria mit ihrem Chauffeur Harry Peterson auf sie, der dem Office of Security der CIA angehörte. Irene und Tommy grüßten den Fahrer und setzten sich auf den Rücksitz. Irene reichte dem Mann einen der beiden Kaffeebecher, und wenige Sekunden später waren sie unterwegs.
Irene Kennedy hatte sich dagegen gesträubt, einen Chauffeur zu bekommen. Sie wohnte nicht einmal zehn Minuten von Langley entfernt und hatte das als einen Eingriff in ihre Privatsphäre betrachtet. Leider hatte die Washington Post vergangenen Sommer einen großen Bericht über sie gebracht mit dem Titel »The most powerful Woman in the CIA«. Irene war nicht gerade begeistert darüber gewesen, und der Präsident hatte sich persönlich an die Verantwortlichen der Zeitung gewandt und sie ersucht, die Geschichte nicht zu bringen. Doch die Post ließ sich nicht davon abbringen. Irene Kennedy wollte nicht ins Rampenlicht – und vor allem wollte sie, dass die Leute, die sie jagte, so wenig wie möglich von ihr wussten.
Die Geschichte blieb nicht ohne Konsequenzen. Bald kamen erste Drohungen – und Thomas Stansfield reagierte sehr entschlossen. Er ordnete ein Sicherheitssystem für Irene Kennedys Haus an und teilte ihr auch einen Fahrer zu. Die CIA überwachte die Alarmanlage, und mindestens einmal pro Nacht fuhr ein CIA-Sicherheitsteam beim Haus vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Kennedy bekam außerdem einen Pager mit einer Notruftaste. Sie hatte die Anweisung, das Gerät rund um die Uhr in Reichweite zu haben.
Tommy war gerade in einem Alter, wo es so etwas wie eine unpassende Frage grundsätzlich nicht gab. Er hatte eines Tages Harry Petersons Pistole gesehen, während sie zusammen vor dem Haus Fangen spielten. Tommy wollte die Waffe sehen, und Harry gab seinem natürlichen Impuls, Nein zu sagen, nicht nach. Mit seinen einundfünfzig Jahren hatte er gelernt, dass es im Umgang mit einem kleinen Jungen nicht ratsam war, irgendetwas zum Tabu zu machen, weil das die Neugier nur noch mehr anstachelte. Harry zeigte ihm also die Pistole, gab ihm eine ernste Lektion über den sicheren Umgang mit der Waffe und ließ sie ihn sogar berühren. Als sie später nach Langley kamen, platzte Tommy die Frage heraus: »Wie viele Verbrecher hast du schon erschossen?«
Irene hatte sich diese Frage selbst auch schon des Öfteren gestellt, hatte sie aber selbstverständlich nie ausgesprochen. Männer wie Harry Peterson begannen nicht in diesem Geschäft zu arbeiten, weil sie es satt hatten, Kopiergeräte zu verkaufen. Sie hatten meistens eine Vergangenheit als Soldat, Polizist oder Geheimagent hinter sich, waren aber mittlerweile zu alt, um noch länger in den Krisengebieten der Dritten Welt auf irgendwelchen Hausdächern herumzuklettern.
Der Wagen hielt vor dem Old Headquarters Building an, das seit 1991 durch das New Headquarters Building ergänzt wurde. Irene und Tommy betraten das Gebäude ein und blieben beim Sicherheits-Checkpoint stehen. Irene trug Tommy in die Besucherliste ein, und der Wachmann gab ihm eine Kennmarke, mit der er sich jedoch nur im
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