Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
penetranter Geruch nach verbranntem Wachs, und oft lag mehr als eine Tasse umgekippt auf dem Teppich.
Auch der folgende Akt findet in der Bibliothek statt.
Die Teilnehmer sitzen längst auf ihren Plätzen. Dem Ehrengast hat die Gelegenheit, zum ersten Mal in solch einem Palais zu sein, rote Wangen beschert. Sein Blick schweift nervös über die Regalböden voller Bücher. Die Türen werden geschlossen. Maria del Roser persönlich schenkt den Teilnehmern der Runde Tee ein. Sie muss dabei niemanden nach seinen Vorlieben fragen, nur den jungen Mann, ihren neuen Gast an diesem Nachmittag.
»Ein wenig Tee oder darf es etwas anderes sein, Señor Canals?«, fragt die Gastgeberin.
Francisco Canals spürt seinen rauen Hals.
»Dürfte ich ein Glas Wasser haben?«
»Selbstverständlich!« Maria del Roser greift zu dem Krug aus Muranoglas und schenkt ein.
Dann nimmt sie wieder auf dem Stuhl Platz, der ihr für diese Gelegenheiten schon vor einiger Zeit zugewiesen wurde. Das Klingeln der Löffel in den Tassen verstummt genau in dem Augenblick, in dem Don Miguel Vives das Wort ergreift: »Heute begleitet uns ein höherer Geist«, beginnt er und sieht mit väterlichem Stolz zu dem jungen Mann, »den eine besondere Fähigkeit als Medium auszeichnet. Sie alle haben schon einmal das Glück gehabt, ihn zu sehen, und zwar bei einer unserer Veranstaltungen. Heute jedoch werden wir im privaten Kreis seine Gabe bewundern können. Señor Canals, möchten Sie uns noch etwas sagen, ehe Sie beginnen?«
Der junge Mann hat Lampenfieber und errötet noch mehr. Er bemüht sich, den übrigen Teilnehmern in die Augen zu sehen, konzentriert sich aber schließlich doch auf den Wasserkrug.
»Ich danke Señor Eduardo Conde sehr für alles, was er für mich tut«, stammelt er.
»So ein Unsinn«, ruft der Angesprochene aus, »das hätte jeder andere auch getan.«
Francisco Canals zieht eine Augenbraue hoch, als zweifele er an den Worten seines Arbeitgebers. Die übrigen Gäste nehmen neugierig den Kontrast zwischen der Ungeschicklichkeit des jungen Mannes und der Gewandtheit des Warenhausbesitzers wahr. Schließlich sieht sich Letzterer verpflichtet, eine Erklärung abzugeben.
»Señor Canals arbeitet seit zwei Jahren in der Abteilung für Trauerkleidung in meinem Hause«, erklärt er, was die Anwesenden sofort aufhorchen lässt. »Ich muss Ihnen sagen, dass er sowohl von unserer Kundschaft geschätzt wird als auch von den übrigen Angestellten, die mich auch auf seine Fähigkeiten hingewiesen haben. Unser junger Mann ist zwar äußerst bescheiden und will kein Aufhebens um seine Person machen. Aber alles, was über ihn gesagt wird, weist auf einen Menschen mit hohen spirituellen Fähigkeiten hin. Ich habe ihn in mein Büro kommen lassen und geradewegs gefragt, ob die Gerüchte, die über ihn verbreitet werden, stimmen. Ich war überrascht, mit welcher Offenheit mein junger Angestellter über seine gewaltige Gabe sprach, und auch von seiner Bereitschaft, diese mit anderen zu teilen. So etwas können nur sehr großzügige Menschen. Alles Übrige ist Ihnen bekannt. Bei unserer letzten Begegnung habe ich Señor Canals gebeten, uns darüber zu berichten, was der Spiritismus für ihn bedeutet, und habe ihn eingeladen, an unserer heutigen Sitzung, der letzten vor den Sommerferien, teilzunehmen. Denn ich war davon überzeugt, dass sein Beitrag uns alle bereichern würde.«
Condes Worte wecken bei den Zuhörern Erwartungen.
»Nur ein Freidenker wie Sie vermag für einen Untergebenen so viel Bewunderung aufzubringen«, meint eine Dame.
Conde lächelt und antwortet: »In meinem Hause sind alle Menschen gleich.«
»Sie beweisen es uns ja, Don Eduardo. Schließlich gereicht es Ihrem Warenhaus zur Ehre, dass Sie gute Löhne zahlen und sich um die Gesundheit und Sicherheit Ihrer Angestellten sorgen. Außerdem bieten Sie sogar bezahlten Urlaub. Das bringt wirklich nur ein Liberaler zustande!«
»Schon gut, schon gut«, beschwichtigt Don Eduardo. »Aber wir haben hier nicht zusammengefunden, um über mein Warenhaus zu sprechen, sondern um dieses junge Wunder zu sehen und zu hören, das uns heute Nachmittag eines seiner größten Talente demonstrieren wird: die Écriture automatique.« Die Anwesenden geraten in Aufregung.
»Dazu sind Sie in der Lage?«, fragt Maria del Roser, die dabei vom Stuhl aufspringt.
»Unser junger Gast kann noch viel mehr«, fährt Conde fort. »Señor Canals lebt in einer Art ständiger Kommunikation mit der jenseitigen Welt.
Weitere Kostenlose Bücher