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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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geheftet.
    »Um Gottes willen«, platzt es aus ihm heraus. »Sie wollen mir doch jetzt nicht weglaufen, oder? Habe ich etwa alles verdorben? Damit, dass ich Ihnen mit meinen Geschichten in den Ohren liege?« Er macht eine hilflose Geste. »Wahrscheinlich halten Sie mich für einen verkommenen, unmoralischen Idioten. Dabei sind Sie eigentlich noch ein Kind, ein unschuldiges Ding, eine …«
    Das kann sie nicht auf sich sitzen lassen. »Ich bin nichts dergleichen«, faucht sie. »Ich bin einundzwanzig Jahre alt, und ich bin kein unschuldiges Ding, ich habe …«
    »Sie ist einundzwanzig.« Er richtet flehend den Blick zur Decke. »Ist das alt genug? Ist das überhaupt erlaubt?« Er beugt sich so weit über den Schreibtisch, dass sie ihn riechen kann - Haaröl, ein Hauch Seife, frischer Zigarettenqualm. Sie sieht, wie stoppelig sein Kinn ist, wie sich seine Pupillen fast unmerklich weiten und verengen. »Ich bin vierunddreißig«,
murmelt er. »Ist das zu alt für Sie? Habe ich noch eine Chance?«
    Ihr Herz schlägt so heftig, dass es wehtut. Es ist, als ob sie seine Lippen wieder auf den ihren spürt, und sie will, dass er sie noch einmal küsst, aber heftiger diesmal und länger. »Ja«, bringt sie hervor.
    Er strahlt. »Gut.« Er nimmt ihre Hand. »Gut«, sagt er noch einmal.
    »Ich finde …« Sie ringt nach Luft, ihre Kehle ist wie zugeschnürt. »Wir sollten den Jazzclub ausfallen lassen. Gehen wir lieber ins Bett.«
    Innes verlor keine Zeit. Souverän führte er sie ins Hinterzimmer, räumte das Sofa von Papier, Kaffeetassen und Stiften frei und ließ sie Platz nehmen. Er küsste sie, sanft, aber fest. Lexie rechnete damit, dass der Akt ohne viel Federlesen über die Bühne gehen würde. So war es bei dem Jungen auf der Wiese gewesen - kaum hatte sie den Vorschlag gemacht, riss er sich auch schon die Schuhe von den Füßen. Aber Innes schien es überhaupt nicht eilig zu haben. Er strich ihr über das Haar, er liebkoste ihren Hals, ihre Arme, ihre Schultern, er überflutete sie mit dem üblichen Redestrom über alles und nichts. Und während er redete, entledigte er sie Stück um Stück ihrer Fahrstuhlführerlivree: der Jacke mit den Messingknöpfen und dem aufgestickten Kaufhausnamen in Gold, des roten Halstuchs, der Bluse, die am Hals kratzte. Sehr bedächtig, sehr aufmerksam. Sie unterhielten sich noch ein wenig: über die Zeitschrift, darüber, wo sie ihre Schuhe gekauft hatte, wie sie an dem Tag zur Arbeit gekommen war - es hatte irgendwelche Probleme mit der U-Bahn gegeben -, über eine undichte Leitung in seiner Wohnung, über eine Buchhandlung, bei der er anfragen wollte, ob man nicht elsewhere ins Sortiment aufnehmen
könnte. Es war, als gäbe es nichts Natürlicheres auf der Welt. Und es kam ihr seltsamerweise überhaupt nicht seltsam vor, dass sie dabei nichts anhatte, dass er fast nackt war, dass er - o Gott - völlig nackt war, dass er da war, neben ihr, um sie und in ihr. Er barg ihren Kopf in seinen Händen. Er sagte: »Mein Schatz«; er sagte: »Mein Liebling.«
    Und hinterher redete er weiter, ihm fiel immer etwas ein. Er erzählte ihr von dem Pekinesen seiner Mutter, der während des Abendessens auf dem Tisch herumlaufen durfte. Und während Lexie zuhörte, ging sie, weil es in dem Hinterzimmer zog, eine Decke holen, und breitete sie über ihn und sich. Er legte wieder die Arme um sie, fragte sie, ob sie auch bequem liege, und erzählte weiter, dass einmal ein Russe bei ihnen zu Besuch gewesen sei, der mit einer Spielzeugpistole auf den Pekinesen habe schießen wollen. Er zündete zwei Zigaretten an, und erst als sie ihm eine davon aus dem Mund nahm und sich selbst zwischen die Lippen steckte, wurde ihr die Tragweite dessen, was soeben geschehen war, wirklich bewusst. Tränen stiegen ihr in die Augen. Was machte sie hier, nackt mit einem Mann auf einer Couch? Einem Mann, der Frau und Kind hatte? Sie musste ein paarmal heftig schlucken.
    Anscheinend bemerkte er, wie ihr zumute war, denn er umschlang sie fester, zog sie noch näher an sich heran. »Weißt du was?«, sagte er und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. »Ich finde …« Er brach ab und verlagerte sein Gewicht. »Dieses Sofa ist mörderisch unbequem. Nächstes Mal lieben wir uns im Bett, und zwar bei mir zu Hause. Deine Wirtin würde derartige Ausschweifungen wohl kaum erlauben.« Er küsste sie auf die Schläfe. »Ich finde, du solltest für mich arbeiten.«
    Sie richtete sich so ruckartig auf, dass sie ihre Asche über ihn und sich und

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