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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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üblich war. Doch die Frau würdigte sie keines weiteren Blickes, sie ging und lehnte ab, als Gesa ihr helfen wollte, die Tragegurte des Korbs über die Schultern zu legen.
    Dann kamen die anderen.
    Vom Backhaus brachten sie ihr einen Laib schwarzes Brot, das in diesen Tagen eine Kostbarkeit war, sie gaben ihr gepökeltes Fleisch, Eier und Käse. Sie fanden sich am Abend in der kleinen Küche ein, eine Abordnung der Dorffrauen, die ihre frisch geprüfte Hebamme in Augenschein nehmen wollten, die sie betrachteten und befragten, die wissen wollten, ob etwas anders mit ihr geworden war. Gesa brachte es nicht über sich, den Frauen die Wahrheit zu erzählen.
    Es wurde ihr unmöglicher mit jedem Satz, den sie sprach, und mit jeder weiteren Ausflucht, die sie vor einer Lüge bewahrte. Als sie allein zurückblieb, wünschte sie sich für einen Moment, ihr Leben könnte einfach verlöschen wie das Feuer in der Herdstelle.
    Gesa vermied es fortan, sich im Dorf blicken zu lassen. Zum Brunnen ging sie in der Nacht, sofern der zunehmende Mond sich über dem Wald zeigte. Wenn ein Hund anschlug, erschreckte es sie, und sie rannte zurück in Tante Beles Haus, das nicht mehr das ihre zu sein schien. Vielleicht, dachte Gesa, bin ich nur Beles Schatten. Es machte sie zum einsamsten Menschen jener Welt, im eigenen Dorf auf der Flucht vor den Leuten zu sein, und es wurde mit jedem Tag schlimmer, an dem sie es nicht wagte, sie mit der Wahrheit zu enttäuschen.
    Wie froh war Gesa, in Haus und Garten Dinge zu verrichten, die sie kannte. Sie grub Blumenzwiebeln aus, erntete das letzte Gemüse und legte es in die Sandkisten im Keller. Was sie vom Spätflachs des vergangenen Jahres noch nicht verarbeitet hatte, hechelte sie vor dem Schuppen auf der Rückseite des Hauses. Wenn sie die groben Fasern durch die eisernen Zinken des Flachskamms zog, legte sie all ihre Wut hinein, die sie von Tag zu Tag stärker über sich selbst empfand.
    Sie traute sich nicht in die Kirche und nicht an Beles Grab. Stattdessen kniete sie in der kalten Kammer vor Beles leerem Bett, und versuchte vergeblich, noch etwas von ihrem Geruch aufzuspüren.
    »Warum ist es so schwer?«, fragte Gesa. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde.«
    Tante Bele blieb stumm, genauso wie Clemens, dessen berührungslose Küsse des Nachts auf Gesas Gesicht zerrannen. Und dann fand sie eine Antwort, nach der sie schon lange nicht mehr gesucht hatte.
    Es war ein Tag, an dem sie aufhörte zu zählen, wie lange schon sie sich versteckte. Es war, als sie fröstelnd vor Beles Bett aufstand und dachte, sie könnte in der Truhe nachsehen, ob sie möglicherweise einen Wollstoff fand, um sich ein warmes Umschlagtuch zu nähen. Aus der Truhe schlug ihr ein schwacher Lavendelduft entgegen, und im Halbdunkel ertastete sie mehrere Lagen von Stoffen. Hartes Leinen, aus ihrem selbst gesponnenen Garn von den Dorfwebern gefertigt, und darunter gab es tatsächlich Weiches, dicke Wolle. Gesa griff weiter, Schicht um Schicht holte sie hervor und stapelte sie auf den Dielen.
    Auf dem Boden der Truhe entdeckte sie ein weißes Viereck. Während sie es anhob, entfaltete sich ein Hemdchen, in das mit groben Stichen zwei Münzen eingenäht waren, und kaum merklich fiel etwas nieder, das einem Brief ähnlich sah.
    Kniend drehte Gesa sich dem Fenster, dem spärlich eindringenden Nachmittagslicht zu. Auf dem Papier waren verwischte Vermerke zu erkennen, in nicht zu entziffernden Handschriften. Vorsichtig öffnete sie den Bogen, in dem ein zweiter lag, der – wenn man ihn hochhielt – durchscheinend war mit Kniffen, die feine Risse hatten. Er musste oftmals auf- und wieder zugefaltet worden sein, dieser Brief, der mit den Worten Meine Marie begann und mit einem Namen endete, der kein anderer als war als jener, den Gesa als den ihres Vaters kannte: Kaspar.
    Sie lief hinunter in die Küche, trug den Brief und das Kinderhemd mit beiden Händen vor sich her, legte ihn auf dem Tisch aus, entzündete einen Kienspan. Sie füllte Wasser aus dem Krug in einen Becher und trank ihn leer. Sie strich eine Haarsträhne zurück in den Knoten und wischte die Finger an der Schürze ab. Sie durchquerte die Küche, betrachtete ihren Fund von der Tür aus, den vergilbten Fleck auf dem blank gescheuerten Tisch.
    Sie brauchte Zeit für die erste Begegnung mit ihrem Vater.
    Sie näherte sich in kleinen Schritten, ließ sich langsam auf der Bank nieder und betrachtete den Brief noch eine Weile, bevor sie sich darüber

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