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Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Domeier
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etwas Größeres eingewickelt sei. Oder ein rotes Hemd, das noch jemand anhatte, der im Wasser lag? Ludolf schreckte zurück und erstarrte. Sollte das Kunekes Leiche sein? Vor Aufregung bekam er kaum Luft. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Was sollte er jetzt tun? Er hatte zwar schon ein paar Leichname gesehen, zu Hause, wenn in der Verwandtschaft jemand gestorben war, aber noch nie einen Toten, der bereits längere Zeit im Freien gelegen hatte. Und Wasserleichen sollten bekanntlich ganz besonders schlimm aussehen ... Wenn das Kuneke war, musste er am besten sofort nach Minden, um dem Bischof Bescheid zu geben.
    Vorsichtig stakte er näher. Er kam allerdings nur auf etwa drei Schritt heran, weil ein alter, vermodernder Baustamm ihm den Weg zum Ufer versperrte. Der Stoff war dreckig rot, verschmutzt von trübem Wasser und Schlamm. Das musste die Schulter sein, die aus dem Wasser hervorschaute. Verfilzte, braune Haare hingen halb darüber. Mit dem Staken stieß er gegen die Schulter. Der Kopf bewegte sich kurz mit. Aber nichts geschah. Sollte das Kuneke sein, war sie jedenfalls tot. Ludolf wollte es genau wissen. Er traute sich nicht, die Haare mit der Holzstange zur Seite zu schieben. Es war ein Mensch, wenn auch ein toter, aber er mochte ihn nicht verletzen. Warum musste gerade er Kuneke finden? Warum hatten die Nachbarn sie bei ihrer Suche nicht entdeckt? Weil sie, als sie ertrank, zu Boden gesunken und erst später wieder an die Oberfläche gekommen war?
    Mit dem Staken prüfte er die Wassertiefe – nur knapp eine Elle. Ludolf band das Boot an einen morschen Ast des Stammes, der die Zufahrt versperrte. Ganz langsam stieg er in das Wasser. Wer wusste schon, was sich alles dort unten befand? Aale, Krebse, Egel und Gewürm! Also ließ er lieber seine Sandalen an. Der Grund des Gewässers war ziemlich weich, sodass er sofort ein Stück einsank. Er fühlte, wie der Schlick zwischen seine Zehen quoll. Dann trat er auf Äste oder Steine. An andere Dinge – Knochen oder verwesende Gliedmaßen – mochte er gar nicht denken. Auch nicht an die kalte Hand, die unter Wasser nach seiner Wade greifen wollte.
    Mit einem abgebrochenen Zweig schob Ludolf vorsichtig die Haare der toten Kuneke zur Seite. Die Haare waren so verfilzt und dreckig, dass sie im Schatten des Baumes wie gammeliges Gras aussahen. Kein Gesicht, also war es der Hinterkopf. Er beugte sich vor, um die Schulter mit dem roten Kleidungsstück zur Seite zu drücken. Aber es rührte sich nichts. Er ging noch einen Schritt weiter. Vorsichtig untersuchte er links ein Schilfbüschel, wo der Rest des Körpers und die Beine im Wasser lagen. Es war aber nichts zu sehen. Nur eine halbe Leiche? Wo war der Rest? Mutig zog Ludolf an dem Stoff. Er hielt ein rotes Stück feinen Gewebes mit Stickereien in der Hand, ein Halstuch. Darunter waren zwei Wurzeln der Weide zum Vorschein gekommen, über denen der Stoff lag und die dem Betrachter eine Schulter vorgegaukelt hatten. Und die Haare? Doch nur ein dickes Büschel verrottenden Grases. Ludolf schrie seine Enttäuschung heraus. Die Vorstellungskraft war mit ihm durchgegangen. Er ärgerte sich maßlos und schimpfte über sich selbst. Wie sollte er den Fall aufklären, wenn er noch nicht einmal eine Leiche erkennen konnte!
    Ein rotes Halstuch. Der Schmied Dietrich Wiegand hatte vorgestern irgendetwas von einem roten Halstuch gesagt. Es hatte seiner verstorbenen Frau gehört, und er hatte es Kuneke geschenkt. Möglicherweise hatte sie es getragen, als sie verschwand. Das Boot wurde in diesem Weserarm gefunden, jetzt das Tuch. Lag sie auch noch hier irgendwo im Ufergestrüpp? Oder war die Leiche weitergetrieben? An Minden vorbei und irgendwann dann ins Meer? Kuneke war ins Wasser gefallen oder geworfen worden, und Boot und Tuch blieben in den Wurzeln hängen. Die letzten Reusen, die Ludolf gesehen hatte, lagen schon ein Stück zurück. Dieser Bereich hier gehörte also nicht mehr zu der Pacht des Fischers. Nur so war es zu erklären, dass dieses grellbunte Stück Stoff nicht schon längst jemandem aufgefallen war.
    Ludolf stampfte durch den Schlick zurück und warf das triefende und verdreckte Tuch in das Boot. Dass die Hosen nass geworden waren, war völlig nebensächlich. Aber an seinen Sandalen und Füßen klebte dieser schwarze, stinkende Schlamm. So gut es ging, reinigte sich Ludolf im Fluss.
    Ludolf fuhr weiter. Die Weser machte nun einen Bogen nach rechts. Irgendwann musste man wieder auf die anderen Arme treffen. Wie nah er

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