Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
denn sie lächelte der jungen Frau freundlich zu und ging ihr einige Schritte entgegen. »Guten Tag, meine Liebe. Ihr müsst Luke Scheffer sein. Pater Anno hat uns gestern von Eurer Anreise erzählt. So wollte ich Euch gerne kennenlernen.«
Agnes erwiderte die herzliche Begrüßung. »Das ist aber nett. Wie kommt Ihr dazu?«
»Na ja. Ganz ehrlich, ein bisschen Eigennutz ist schon dabei«, antwortete sie augenzwinkernd. »Ich bin die Hebamme hier und habe in den letzten zwanzig Jahren geholfen, die meisten Kinder heil und gesund zur Welt zu bringen. Die meisten sind zum Glück etwas geworden, aber bei einigen ... oh, oh. Aber lassen wir das. Da habe ich nach der Geburt nichts mehr mit zu tun. Da müssen die Eltern allein mit klarkommen. Wäre ja noch schöner, wenn ich das auch noch übernehmen sollte. Ach, Gottchen! Manche Leutchen hätte ich auch nicht als Eltern haben wollen.« Die freundliche Frau klapste sich peinlich berührt auf den Mund und kicherte vor sich hin. Was für eine Plaudertasche. Die redete wirklich mit einer rasanten Geschwindigkeit. »Ich habe ja noch gar nicht gesagt, wer ich bin. Wie unhöflich von mir! Manchmal bin ich ein wenig vergesslich. Dann lass ich ’was liegen und weiß im nächsten Augenblick nicht mehr was und wo. Hoffentlich wird das nicht schlimmer, wenn ich älter werde. Aber meistens liegt es daran, dass mein Mund schneller ist als meine Gedanken. Ich heiße Herta. Herta Schmitts.«
Agnes fühlte sich von dem Wortschwall der Hebamme erschlagen. Wenn die erst einmal in Schwung gekommen war, konnte man sicher ihren Redefluss nur schwer unterbrechen. »Und aus welchem eigennützigen Grund wolltet Ihr mich sprechen?«, nutzte Agnes das Luftholen der Hebamme.
»Ach ja!«, kicherte diese und bedeckte wieder ihren Mund mit der Hand. Das schien eine Gewohnheitsgeste bei ihr zu sein. Ob sie während einer Geburt auch so viel plapperte? Vielleicht um neugierige Tanten zu vertreiben, die unbedingt helfen wollten und sich andauernd einmischten?
»Pater Anno sagte, Ihr wärt frisch verheiratet. Ach, ist das schön. Junge Liebe, Glück, lange Nächte. Ja, und dann ist das erste Kind nicht weit. Das geht doch so schnell. Nicht war? Bei manchen Leuten sind die Kinder sogar nach nur sechs oder sieben Monaten da. Das sind die ganz schnellen.« Sie kicherte wieder hinter vorgehaltener Hand. »Und wenn es bei Euch soweit ist, stehe ich bereit. Aber sagt doch ...« Die Hebamme legte den Kopf auf die Seite und betrachtete die junge Frau sehr genau. Dann machte sie einen Schritt zur Seite, um Agnes aus einem anderen Blickwinkel zu begutachten. Agnes kam sich vor wie eine Kuh auf dem Viehmarkt. Was war denn jetzt los?
»Wie lange seid Ihr verheiratet?«
»Äh ... ja, ich meine, eine Woche. Na ja ... fast, beinahe«, kam es stotternd.
»Na gut, dann habt Ihr ja wirklich bis zur Hochzeitsnacht gewartet. Oder habt Ihr schon Kinder? Viele von den jungen Leuten schaffen es nicht. Noch nicht verlobt, schon geht es in die Büsche, auf den Heuboden. Aber bei Euch ist noch nichts zu sehen. In ein oder zwei Monaten doch bestimmt. Oder?« Sie zwinkerte anzüglich.
Agnes wurde ganz rot und blickte verschämt zu Boden. Heirat, Kinderkriegen und was sonst noch dazukam, gehörten nun wirklich nicht zu den erhabenen Lebenszielen einer Nonne. Die kannte nur den Herrn als Gebieter und hielt sich von allen fleischlichen Gelüsten fern. An solche Sachen hatte sie noch nie gedacht – oder nur sehr selten. In der letzten Nacht hatte sie von Ludolf geträumt. Sie hatten irgendwo auf einer Wiese gelegen und sich im hohen Gras geküsst. Sie wusste aber nicht, ob sie verheiratet gewesen waren. Mit Ludolf! Oh, wie schrecklich! Aber das war im Schlaf. Das galt nicht, denn gegen Träume konnte man sich nicht wehren. Die kamen, ob man wollte oder nicht.
Aber inzwischen plapperte die Hebamme immer weiter. Langsam kam Agnes nicht mehr mit. An den passenden Stellen nickte sie nur noch höflich zur Bestätigung, sagte ab und zu Ja, Nein oder auch Aha. Aber sie fand keine Lücke in dem nicht enden wollenden Redefluss. Herta erzählte von ihrer Familie, ihren schon erwachsenen Kindern, davon, dass sie bald Großmutter werden sollte. Schließlich war auch ihr Mann an der Reihe, der immer so lieb und nett zu ihr war, aber einer von den ganz Stillen. Er sagte höchstens etwas, wenn er sich aufregte oder wütend wurde. Bei der Plapperei war es für einen normalen Menschen auch kaum möglich, zu Wort zu kommen. Ihr geliebter
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