Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
er.
»Warum?«
»Ich fürchte, ich habe ziemlich schlechte Nachrichten für Sie. Mrs Hudson ist heute Morgen verschieden«, teilte er mir mit. »Sie möchten, dass Sie sofort nach Hause kommen.«
Es war, als hätte mein Herz aufgehört zu schlagen, und alles Blut in meinem Körper wäre mir in die Füße gesackt. Er sah, wie blass ich wurde, und fasste mich schnell am Arm.
»Alles in Ordnung?«
Ich nickte, lehnte mich aber gegen die Wand, um Luft zu schnappen. Es war, als hätte man mir ohne Vorwarnung in den Magen geschlagen. Großmutter Hudson tot? Nein, nein, ich brauche sie. Ich wollte sie stolz auf mich machen.
»Was ist passiert?«, brachte ich mühsam heraus.
»Ich kenne keine Einzelheiten, fürchte ich. Mir wurde nur mitgeteilt, dass sie verschieden ist. Außerdem wurde ich gebeten, Sie, sobald der Wagen eingetroffen ist, zum Endfield Place zu schicken. Ich hoffe sehr, dass sich alles für Sie zum Guten wendet«, sagte er. »Und ich bin selbst ganz außer Fassung wegen Mrs Hudsons Ableben«, fügte er hinzu. »Sie war eine sehr feine Frau, eine große Dame«, sagte er. »Ich bin mir sicher, dass Sie sich dessen bewusst sind.«
Er brachte mich zur Eingangstür. Ich sah den Rolls-Royce mit Boggs hinter dem Steuer, der kalt geradeaus starrte. Der letzte Ort, an dem ich jetzt sein wollte, war Endfield Place. Am liebsten wäre ich in jede andere Richtung weit weggelaufen. Ganz bestimmt
wollte ich nicht zu Boggs ins Auto steigen, aber mir blieb kaum eine Wahl. Als ich vor die Schule trat, erinnerte ich mich daran, dass ich Roy treffen wollte. Er würde am Ende des Schultages hierher kommen, nach mir Ausschau halten und vergeblich auf mich warten. Ich drehte mich um und wollte Mr MacWaine bitten, Roy zu sagen, was passiert war, aber er war bereits auf dem Weg zurück in sein Büro. Es gab keine Möglichkeit, mit Roy in Kontakt zu treten. Bestimmt lief er gerade in der Stadt umher. Vielleicht konnte jemand aus dem Haus später hier anrufen und Mr MacWaine Bescheid sagen, dachte ich und ging weiter auf das Fahrzeug zu.
Boggs stieg aus, als er mich sah, und kam um das Auto herum, um mir die Tür zu öffnen, was mich überraschte. Die Ausbildung hatte wohl Vorrang vor allem anderen. Ein Chauffeur war ein Chauffeur und ein Passagier ein Passagier, auch wenn es nur jemand wie ich war.
»Danke«, sagte ich und stieg ein.
Er sagte nichts, kehrte auf den Fahrersitz zurück, und wir fuhren los. Erst unterwegs fragte ich mich, warum die Endfields sofort nach mir geschickt hatten. Warum hatten sie nicht gewartet, bis ich aus der Schule zurückkehrte? Sie kannten doch meine wirkliche Beziehung zu Großmutter Hudson nicht, und ich hätte nie vermutet, dass sie so besorgt um mich waren.
Die Antwort wurde offensichtlich, sobald ich das Haus betrat und Leo mich in den Salon führte.
Großtante Leonora saß auf dem Sofa, ein Taschentuch vors Gesicht gepresst. Großonkel Richard saß in dem Sessel ihr gegenüber. Er wirkte so streng und förmlich wie eh und je in seinem dreiteiligen Nadelstreifenanzug. Sein Gesicht war eher von Zorn als von Kummer gezeichnet.
»Nehmen Sie bitte Platz«, befahl er und nickte in Richtung Sofa. Ich wandte mich zu Großtante Leonora, als ich das Zimmer durchquerte. Sie senkte das Taschentuch, enthüllte ihre blutunterlaufenen Augen und das blasse Gesicht, musste schlucken und beobachtete, wie ich zum Sofa ging, als träfe sie mich zum ersten Mal. Vermutlich tat sie das in gewisser Weise auch.
»Was ist mit Mrs Hudson passiert?«, fragte ich, als ich mich hinsetzte.
Großonkel Richard richtete sich gerade in seinem Sessel auf und starrte mich an.
»Ich bin derjenige, der diese Untersuchung durchführt«, herrschte er mich an.
»Untersuchung?«
»Victoria rief vor etwas mehr als zwei Stunden an und informierte uns über all die schlechten Nachrichten«, sagte er, wobei er all und schlechten betonte. »Offensichtlich haben Sie hier unter Vortäuschung falscher Tatsachen gelebt«, sagte er mit vorwurfsvoll blitzenden Augen. »Fast wie ein Spion, der in unser Haus eingeschleust worden ist, verkleidet als armes Waisenkind, das sich als Hausangestellte seinen Weg durch die Schule erarbeiten muss, während Sie in
Wirklichkeit die Erbin von Frances’ Vermögen sind und noch dazu eine Blutsverwandte«, sagte er.
Großtante Leonora jammerte laut und schluchzte danach hysterisch, wobei ihre Schultern so stark bebten, dass ich befürchtete, sie könnte sich einen Knochen brechen. Großonkel
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