Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
mich auf der Bühne gefühlt hatte, dem Vergnügen auf Mr Mac-Wains Gesicht, Randalls Freude und all den wunderbaren Kommentaren auf dem Empfang.
Vielleicht konnte ich das. Vielleicht war das ja nicht nur ein Wunschtraum und Großmutter Hudson hatte Recht, als sie mich drängte, hierher zu kommen und zu studieren. Ich fragte mich, was wohl mein leiblicher Vater von meiner Vorstellung gehalten haben mochte. Schließlich war er ein Shakespeare-Experte, oder?
Ich malte mir aus, dass er zu unserer Aufführung gekommen wäre und unbemerkt hinten im Publikum gesessen hätte. Hinterher war er so beeindruckt von mir, dass er es sich nicht nehmen ließ, auf den Empfang zu kommen und mir das mitzuteilen, und all das, ohne zu wissen, dass ich seine Tochter war.
Er würde mich zu einer Tasse Kaffee oder Tee einladen, um über meine Karriere zu reden und über die großen Stücke zu sprechen.
Und dann, mitten im Gespräch, würde ich mit der Wahrheit herausplatzen, und er wäre so überwältigt, aber auch so überglücklich, dass er mich umarmte und es nicht abwarten konnte, allen die Neuigkeit mitzuteilen.
Ich merkte, dass ein Lächeln mein Gesicht ergriff,
als ich dort lag und träumend in die Dunkelheit starrte. Ich hörte Boggs’ laute Schritte im Flur. Es hörte sich so an, als versuchte er, mit den Absätzen Löcher in den Boden zu bohren. Die Tür meines Zimmerchens klapperte, als er vorbeiging. Ich hörte, wie sich seine Tür öffnete und schloss, und dann wurde alles still. Dieser Lärm hatte mich aus meiner Träumerei gerissen.
Was tat ich hier eigentlich, mich diesen kindischen Wunschträumen hinzugeben. Vielleicht unterschied ich mich gar nicht so sehr von Großonkel Richard, der seine Illusionen mit Mary Margaret auslebte.
Wie lange führten sie und Großonkel Richard dieses kleine Drama wohl schon auf? Wollte sie daran teilnehmen oder wurde sie dazu gezwungen, um ihren Job behalten zu können? Wer außer Boggs wusste davon? Wusste Großtante Leonora es, tat aber so, als wüsste sie es nicht?Verlangte Mrs Chester deshalb so unnachgiebig, dass ich mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern sollte, als ich mich nach dem Cottage erkundigt hatte?
Das war wirklich ein Haus voller Gespenster, Gespenster, die man besser nicht störte. Ich würde mich verhalten wie alle anderen und so tun, als ob nichts geschähe. Sich um seine eigenen Angelegenheit zu kümmern schien das Credo für das Überleben in dieser Welt zu sein. Sie unterschied sich gar nicht so sehr von der Welt, in der ich in Washington aufgewachsen war. Nichts Böses hören, nichts Böses sehen und du kommst überall gut durch, lautete die Lektion,
die jeder lernte, sobald er hören, sehen und verstehen konnte.
Vielleicht war die Bühne doch der sicherste Ort. Es war, wie durch den Spiegel ein Wunderland zu betreten, in dem Menschen weinen und lachen und einander berühren und betrachten konnten, aber sich über nichts Gedanken machen brauchten außer über den Applaus, wenn der Vorhang fiel.
Tu, was du kannst, um das, was mein Schauspiellehrer die unsichtbare vierte Wand zwischen dir und der realen Welt nannte, aufrechtzuerhalten. Dann wirst du immer in Sicherheit sein. Dann wirst du endlich in Sicherheit sein.
Es hatte etwas Hypnotisierendes an sich, meinen leiblichen Vater und seine Kinder zu sehen. Sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte mir die Erinnerung daran nicht aus dem Kopf schlagen. Ich wollte Randall nicht erzählen, wie sehr ich an meinen Vater dachte, weil ich Angst hatte, er könnte losstürmen und etwas noch Dramatischeres tun. Als er vorgeprescht war und die Straße überquert hatte, um an die Tür der Wards zu klopfen, kriegte ich kaum Luft. Er war entschlossen, mich und meinen Vater einander gegenüberzustellen, aber es war nicht sein Leben, mit dem er spielte, und es waren nicht seine Gefühle, die er aufs Spiel setzte.
Die ganze nächste Woche kehrte ich, wann immer es mir möglich war, in die Straße zurück, in der mein Vater wohnte. Ich stand herum und wartete auf der
anderen Straßenseite, ob ich einen Blick auf ihn erhaschen konnte. Seine Frau sah ich zweimal, einmal alleine und einmal mit ihrem kleinen Jungen.Als ich sie wieder sah, konnte ich besser einschätzen, wie gut sie aussah. Ihr braunes Haar hatte einen rötlichen Schimmer. Beim ersten Mal, als ich sie sah, trug sie es offen auf die Schultern herunterhängend, beim zweiten Mal hatte sie es zu einem Knoten geschlungen.
Als ich sie beim zweiten Mal sah,
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