Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
gefahren, deshalb war ich alleine in dem großen Haus, ohne das Gefühl zu haben, ständig unter Beobachtung zu stehen.
Ich machte mir Frühstück und aß in der Küche. Selbst wenn keiner da war, brachte ich es nicht fertig, im Speisezimmer zu essen.Wenn ich dort einen Krümel zurückließ, würde Boggs ihn finden und mit mir schimpfen, weil ich es gewagt hatte, dort zu essen.
Ich las eine Weile, hielt dabei hin und wieder inne und fragte mich, wann Großmutter Hudson anrief. Mittlerweile war sie in Virginia aufgestanden. Nachdem sie meinen Brief gelesen hatte, würde sie bestimmt anrufen.
Um mir die Zeit zu vertreiben, dachte ich über das Haus, meine Großtante und meinen Großonkel
nach. Ich erinnerte mich, wie ich mit dem Frühstückstablett für meine Tante nach oben gegangen war. Das war an dem Morgen gewesen, als sie mir von ihrer Tochter erzählte. Auf dem Weg aus dem Zimmer hatte ich den Arm einer großen Puppe gesehen, der unter der Decke auf ihrem Schaukelstuhl hervorlugte. Es war das Einzige, das in diesem Haus daran erinnerte, dass einmal ein Kind hier gewohnt hatte. Das und was ich im Cottage gesehen hatte natürlich.
Meine Neugierde wurde immer stärker und lockte mich schließlich zur Treppe. Ich schaute zu dem dunklen ersten Stock hoch und stieg langsam hinauf. Die Tür zum Schlafzimmer meiner Großtante war geschlossen. Ich zögerte. Es gefiel mir nicht, ein kleiner Schnüffler zu sein, aber ich musste die Tür öffnen und mir diesen Schaukelstuhl anschauen. Dort war sie, eine fast lebensgroße Puppe, die mich anstarrte. Sie war tatsächlich so lebensecht, dass mein Herz einen Schlag aussetzte. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, es sei ein echtes kleines Mädchen. Meine Großtante hatte ihr anscheinend echte Kleider angezogen.
Ich schaute mich weiter in dem Schlafzimmer um. Alles war an seinem Platz, das Bett perfekt gemacht. Ich warf noch einen Blick auf die Puppe, dann schloss ich die Tür und stand noch einen Moment nachdenklich da. Vielleicht hatte die Puppe ihrer Tochter gehört.Vielleicht war es etwas, das Großtante Leonora nicht weggeben konnte, oder vielleicht
hob sie es auf als Erinnerung an ihre Tochter. Aber warum brauchte eine Mutter ein Erinnerungsstück?
Ich drehte mich um und schaute zur Tür auf der anderen Seite des Ganges. Großtante Leonora hatte mir ihr Schlafzimmer gezeigt. War das früher das Zimmer ihrer Tochter gewesen? Ich ging zur Tür und versuchte sie zu öffnen, aber sie war verschlossen. Es gab aber noch ein weiteres Zimmer an diesem Gang. Dessen Tür war nicht verschlossen.Als ich hineinschaute, sah ich ein weiteres Schlafzimmer, das nicht ganz so luxuriös war.Vielleicht war es ihr Gästezimmer, aber es wirkte bewohnt. Ich ging weiter hinein und sah Männerkleidung im Schrank. Auf einem Bügel an der Innenseite der Tür hing ein Jackett. Das war Großonkel Richards Kleidung. Ich erkannte sie. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie getrennte Schlafzimmer hatten.
Auch das Badezimmer wirkte kürzlich benutzt. Die Zahnpastatube war noch offen und lag auf der gekachelten Ablage neben dem Becken. Daneben lagen eine Bürste und ein Rasierapparat.
Schliefen sie immer in getrennten Zimmern? Es gab nicht einmal eine Verbindungstür.War das so üblich in englischen Haushalten, fragte ich mich.
Ich hörte, wie sich unten eine Tür schloss, und erstarrte. Wenn nun Boggs zurückgekehrt war und mich hier fand? Es musste Leo sein. Ich hoffte es.Auf Zehenspitzen schlich ich hinaus und die Treppe hinunter. Gerade als ich unten ankam, tauchte Leo auf. Mit gesenktem Kopf ging er vom Salon zum Arbeitszimmer
hinüber. Ich stand so still, dass er mich nicht bemerkte. Als er weg war, verließ ich das Haus und seufzte erleichtert auf.
Großmutter Hudson hatte nicht angerufen, aber ich konnte nicht länger warten. Einen Augenblick später eilte ich die Straße hinunter und floh aus einem Haus voller Fremder zu einem anderen.
KAPITEL 12
Die Hoffnung eines Vaters
I ch bin so froh, dass Sie kommen konnten«, erklärte mein Vater ziemlich laut, als er die Tür öffnete. »Bitte.« Er ging beiseite und ich trat ein. Hinter ihm standen meine Halbschwester und mein Halbbruder und warteten höflich darauf, vorgestellt zu werden.
»Das ist Alexandra«, sagte er. »Alexandra, das ist Rain Arnold.«
Sie streckte mir die Hand entgegen.
»Ich freue mich, Sie kennen zu lernen«, sagte sie.
»Und das ist William«, sagte mein Vater.
Er tat das Gleiche. »Ich freue mich, Sie
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