Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman
Bessinger für Backgammon anwarb, aber die Legende von Adelaide kenne ich, seit ich denken kann.«
»Und was für eine Legende wäre das?« Qwillerans Schnurrbart sträubte sich vor Neugier.
»Keine Geschichte, die du in dein Buch hineinnehmen solltest, aber sie war in den dreißiger Jahren in den besseren Kreisen das Gesprächsthema Nummer eins, wie mir meine Mutter sagte.«
»Nun, dann schieß los!«
»Das ist eine wahre Geschichte«, begann sie. »Bald nachdem Adelaide in die Gesellschaft eingeführt worden war, verlobte sie sich mit einem Mann, der als sehr gute Partie galt, vorausgesetzt, das Mädchen hatte Geld. Er selbst besaß keinen Penny, sah aber gut aus, war charmant und stammte aus einer sehr guten Familie. Adelaide zog das große Los und wurde von all ihren Freundinnen beneidet. Und dann... krachte die Wirtschaft zusammen, die Banken schlossen, und Harrison Plumb war in einer verzweifelten Lage. Er hatte nie mit Geld umgehen können, wie mein Vater sagte, und er hatte Millionen für die Renovierung im Art-déco-Stil ausgegeben. Doch jetzt stand die Hälfte der Wohnungen im Casablanca leer, und die verbleibenden Mieter hatten kein Geld, um die Miete zu zahlen. Dreißig Jahre lang war das Haus seine große Leidenschaft gewesen, und nun sollte er es verlieren. Plötzlich passierten drei erstaunliche Dinge: Adelaide löste ihre Verlobung; ihr Vater war wieder solvent; und eine ihrer Penniman-Cousinen heiratete den Mann, dem sie den Laufpaß gegeben hatte.«
»Treffen die offensichtlichen Schlußfolgerungen zu?« fragte Qwilleran.
»Daran besteht kein Zweifel. Adelaide hat ihren Verlobten gegen Millionen eingetauscht, um das Casablanca zu behalten und ihren Vater vor dem Ruin zu retten. Und eine Million war damals eine Menge Gold.«
»Das sagt allerhand über Adelaide aus, aber ich bin nicht sicher, was«, bemerkte Qwilleran. »War es ein hochherziges Opfer oder kalte Berechnung?«
»Wir glauben, es war eine schmerzliche, selbstlose Geste; gleich danach hat sie sich vollkommen aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen. Leider ist ihr Vater binnen weniger Monate gestorben, und das Casablanca hat nie wieder sein altes Prestige zurückgewonnen.«
»Wie alt war sie, als das passierte?«
»Achtzehn, glaube ich.«
»Sie macht den Eindruck, als sei sie zufrieden mit ihrer Wahl. Wer kümmert sich um ihre finanziellen Angelegenheiten?«
»Nach dem Tod ihres Vaters rieten ihr ihre Verwandten von der Penniman-Linie, das Geld von seiner Lebensversicherung zu investieren und aus dem Casablanca Profit zu schlagen. Jetzt raten ihr die Pennimans natürlich, zu verkaufen...«
»...und zwar an Penniman, Greystone & Fleudd. Und du erwartest von mir, daß ich solche Konkurrenten aus dem Feld schlage? Du mußt träumen.«
»Du hast aber einen starken Verbündeten – ihre Liebe zu dem Haus und zum Andenken ihres Vaters. Du kannst es schaffen, Qwill!«
Er schnaubte in den Schnurrbart und stand auf. »Nun, wünsch’ mir Glück... Was ist das da?« Er deutete auf einen kleinen, dekorativen Gegenstand.
»Das ist Preßglas – eine Pillendose – Art déco, wahrscheinlich fünfundsiebzig Jahre alt.«
»Würde ihr die gefallen?«
»Sie wäre begeistert! Sogar noch mehr als von der Bosc-Birne.«
»Ich kaufe sie.«
»Nimm sie, mit meinen besten Empfehlungen.« Mary nahm das Preisschild ab. »Ich packe sie in ein Samtsäckchen.«
Mit dem Samtsäckchen in der Tasche trat Qwilleran seinen zweiten Besuch im Plumb-Palast im zwölften Stock an. Als er vor der bronzenen Aufzugtür wartete, kam die streitbare Mrs. Button mit ihrem Gehstock den Gang entlang gehumpelt.
»Mein Gott! Sehen Sie aber gut aus!« sagte sie mit hoher, brüchiger Stimme. »Mein verstorbener Mann hat in einem dunklen Anzug auch immer gut ausgesehen. Jeden Donnerstagabend zog er sein Dinnerjackett an, und ich zog ein langes Kleid an, und dann gingen wir ins Konzert. Wir hatten immer eine Loge im ersten Rang. Fahren Sie hinauf, um mit Adelaide Karten zu spielen? Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.«
Mrs. Button humpelte bis zur Eingangstür, wo sie sich umdrehte und wieder zurückhumpelte – sie war eine von den Gehbehinderten, die ihren täglichen Spaziergang, den ihnen der Arzt verordnet hatte, in den Gängen des Casablanca absolvierten. Qwilleran dachte: ›Wenn das Haus wieder seinen ursprünglichen, luxuriösen Charakter erhält, was wird dann aus den alten Menschen? Und aus den Studenten? Und aus Isabelle? Und aus Mrs. Tuttle und
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