Die Kinder des Kapitän Grant
umkehrten und mit unglaublicher Schnelligkeit verschwanden. Die abgetriebenen Pferde der Reisenden hätten sie nie zu erreichen vermocht.
»Diese Feiglinge! rief Paganel.
– Für ehrliche Leute nehmen sie zu schnell Reißaus, sagte Mac Nabbs.
– Was sind das für Indianer, fragte Paganel Thalcave.
– Gauchos, erwiderte der Patagonier.
– Gauchos! wiederholte Paganel, sich an seine Gefährten wendend, Gauchos! Da hatten wir nicht nöthig, soviel Vorsichtsmaßregeln zu treffen; da war Nichts zu fürchten.
– In wiefern? fragte der Major.
– Weil die Gauchos ganz friedliche Landleute sind.
– Das glauben Sie, Paganel?
– Ganz gewiß. Die da haben uns für Räuber gehalten und sind deshalb entflohen.
– Ich glaube vielmehr, daß sie nicht wagten, uns anzugreifen, antwortete Glenarvan, der sehr ärgerlich war, daß er mit den Eingeborenen, sie mochten nun sein, wie sie wollten, nicht hatte in Verkehr treten können.
– Das ist auch meine Ansicht, meinte der Major, denn wenn ich mich nicht täusche, sind die Gauchos, weit entfernt, harmloser Natur zu sein, freche Räuber, die man zu fürchten hat.
– Das wäre arg!« rief Paganel.
Er ging sogleich auf eine lebhafte Besprechung dieser ethnologischen Frage ein, auf eine so lebhafte Weise, daß er dadurch den Major völlig in Aufregung brachte, und sich die in den Besprechungen Mac Nabbs’ nicht eben gewöhnliche Antwort zuzog:
»Ich glaube, Sie haben Unrecht, Paganel.
– Unrecht? versetzte der Gelehrte.
– Ja. Thalcave selbst hat diese Indianer für Diebe gehalten, und er weiß gewiß, worauf er seine Ansicht stützt.
– Nun, so hat sich Thalcave diesmal geirrt, entgegnete offenbar ärgerlich Paganel. Die Gauchos sind Ackerbauer, Hirten, sonst nichts, und ich selbst habe das in einer Aufsehen erregenden Broschüre über die Ureinwohner der Pampas geschrieben.
– Nun wohl, so haben Sie einen Irrthum begangen, Herr Paganel.
– Ich? Einen Irrthum, Herr Mac Nabbs?
– Aus Zerstreuung, wenn Sie wollen, entgegnete auf seiner Meinung bestehend der Major, und Sie werden gut thun, wenn Sie in der nächsten Ausgabe einige Irrthümer verbessern.«
Paganel, sehr gekränkt, über seine geographischen Kenntnisse streiten und gar scherzen zu hören, fühlte, wie ihm die Galle überlief.
»Wissen Sie, mein Herr, sagte er, daß meine Bücher derartiger Fehlerverzeichnisse nicht bedürfen.
– Gewiß! Aber wenigstens bei dieser Gelegenheit, versetzte Mac Nabbs, der seinerseits eigensinnig darauf beharrte.
– Mein Herr, ich finde Sie heute sehr starrköpfig, erwiderte Paganel.
– Und ich Sie sehr mürrisch!« antwortete der Major.
Die Discussion nahm offenbar einen unerwarteten Fortgang, und das über einen Gegenstand, der nicht der Mühe werth war. Glenarvan hielt es an der Zeit, sich in’s Mittel zu schlagen.
»Sicher spricht hier, sagte er, auf einer Seite der Eigensinn, auf der andern der Unmuth, was mich bei Ihnen beiderseits Wunder nimmt.«
Der Patagonier hatte, ohne die Ursache des Wortwechsels zu kennen, doch verstanden, daß beide Freunde in Streit waren. Er begann zu lachen und sagte ruhig:
»Das macht der Nordwind.
– Der Nordwind, fuhr Paganel auf, was hat der Nordwind mit alledem zu thun?
– Ja wohl, so ist’s, erwiderte Glenarvan, der Nordwind ist die Ursache Ihrer üblen Stimmung! Ich habe sagen hören, daß er in SüdAmerika das Nervensystem ganz besonders aufrege.
– Beim heiligen Patrick, Edward, Sie haben Recht«, sagte der Major und brach in helles Lachen aus.
Paganel aber, der einmal in der Stimmung war, wollte von der Auseinandersetzung nicht ablassen, wandte sich an Glenarvan, dessen Zwischentreten ihm etwas unbescheiden erschien.
»Ja wirklich, Mylord, sagte er, ich habe ein erregtes Nervensystem, nicht wahr?
– Ja, Paganel, das macht der Nordwind, ein Wind, unter dessen Einfluß in den Pampas viele Vergehen vorkommen, wie unter dem der Tramontana in der römischen Campagna.
– Vergehen! wiederholte der Gelehrte, ich habe wohl das Aussehen eines Menschen, der zu Vergehungen geneigt ist?
– Das will ich nicht gerade sagen.
– Sagen Sie doch schnell, daß ich fähig wäre, Sie umzubringen!
– O, erwiderte Glenarvan, welcher das Lachen nicht unterdrücken konnte, davor fürchte ich mich. Glücklicher Weise hält der Nordwind nur einen Tag lang an!«
Alle Anwesenden zollten dieser Antwort Glenarvan’s lauten Beifall. Nun gab sich Paganel und ging, seine üble Laune verrauchen zu lassen, von dannen.
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