Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Wein trinken!« Er hob die Hand, um einen Diener heranzuwinken, der mit einem Tablett gefüllter Gläser durch den Saal ging.
Laura nahm das angebotene Getränk, doch sie würdigte es keines Blickes. Stattdessen ruhten ihre Augen auf dem Bild. Sie hatte die Frau schon einmal gesehen, und sie erinnerte sich daran, als wäre es erst gestern gewesen.
Matteo hatte auf ihrer Hüfte gesessen, und sie hatten beide furchtbar gefroren an jenem Nachmittag. Die Dienerin der Frau hatte ihr zwei Kupfermünzen vor die Füße geworfen, und Lauras Hals hatte so sehr gebrannt, dass sie nicht mehr schlucken konnte.
Sie hatte damals gewusst, dass sie die Fremde wiedersehen würde. Hier war sie nun, auf einem in Tempera gemalten Bild, und sie sah genauso aus wie an jenem kalten Herbsttag, mit Löckchen über der Stirn und großen Augen in dem schmalen Gesicht.
Mit einem Mal wusste Laura auch, warum ihr das Antlitz der Fremden damals so vertraut erschienen war. Angelica Querini hatte den Mund und die Augen ihrer Mutter.
Die Zeit der Rückreise war beschwerlich und mit allerlei Hindernissen gespickt. Ein Hochwasser hatte eine Brücke weggerissen, die sie überqueren wollten, und da es in weitem Umkreis keinen anderen Weg über den Fluss gab, mussten sie zwei Tage durch Unwetter, Hagelstürme und eisigen Ostwind reiten, bis sie die nächste Brücke erreichten. Normalerweise, so hatte ihr Führer beteuert, sei der Fluss an vielen Stellen so flach, dass man leicht hindurchreiten könne. Da die Temperaturen jedoch im Laufe des Monats gestiegen waren, hatte mancherorts bereits die Schneeschmelze eingesetzt und das harmlose Gewässer in einen reißenden Strom verwandelt, bei dem keine Furt mehr sicher war.
Als sie schließlich die nächste größere Ortschaft erreichten, wurde ihre Hoffnung auf eine warme Mahlzeit und ein sauberes Bett in einer Herberge rasch zunichtegemacht: Beim Betreten der Schenke kam ihnen ein Mann entgegengewankt, die Augen blutunterlaufen, das Gesicht vor Gram verzerrt. Er erstarrte, als er ihrer ansichtig wurde. »Bleibt zurück, hier geht die Pest um! Wir haben schon mehr als dreißig Tote!«
Der Führer ihres Reisetrupps wich mit einer gemurmelten Beschwörung zurück, und sie machten einen großen Bogen um das Dorf. Auch in der nächsten Ortschaft hatte der Schwarze Tod bereits seine giftige Saat ausgebracht. An einem kahlen Baum in der Mitte des Dorfplatzes flatterte ein schwarzer Stofflumpen als Zeichen für das Grassieren der Seuche.
In der Folgezeit mieden sie die Dörfer und kampierten auf freiem Feld. In selbst gebastelten Fallen fingen sie Kaninchen, die sie ausnahmen, häuteten und über dem Lagerfeuer brieten. Einmal fanden sie auch eine Futtermiete, aus der sie sich bedienten. Der Steckrübeneintopf war nicht gerade eine Wohltat für ihre Gedärme, aber er war eine Abwechslung zu dem eintönigen, stets verbrannt schmeckenden Kaninchenfleisch. An einem der letzten Tage ihrer Reise schoss einer der Griechen mit der Armbrust einen jungen Rehbock, von dem sie drei Tage lang aßen, und schließlich fanden sie auch einen Teich, in dem es Forellen gab.
Hier und dort begegneten sie umherziehenden Bauern und Tagelöhnern, die vor der Pest geflohen waren und nun in der Wildnis zu überlebten versuchten. Einmal ritten sie an einem Schloss vorbei, doch als sie beim Näherkommen einen Toten im Burggraben liegen sahen, setzten sie ihren Weg hastig und in sicherer Entfernung fort.
Antonio trieb sein Pferd an, bis er mit Mosè auf gleicher Höhe ritt.
»Habt Ihr schon einmal die Pest erlebt?«, fragte er den Kaufmann.
»Falls Ihr meint, ob ich sie selbst schon hatte – nein. Gesehen habe ich sie dagegen schon häufig. Das Jahr 1484 war in Venedig ein Pestjahr. Ich rieche noch den Rauch von den vielen Totenfeuern. Es starben zu viele, man kam mit dem Verscharren nicht nach, also verbrannte man die Leichen. Manche warf man auch in die Kanäle, in der Hoffnung, die Flut möge sie davontragen, doch später fanden sich viele von ihnen in Reusen und Pfahlgründungen.« In einer ausholenden Geste wies Mosè über das Land. »Der Schwarze Tod kommt überallhin, immer wieder. Manchmal stirbt nur ein Einziger, manchmal eine Familie. Manchmal aber auch ein Dorf oder gar ein ganzer Landstrich. Die Pest macht nicht an den Grenzen halt, sie findet alle Menschen, ob alt, ob jung, ob böse oder unschuldig. Sie ist wie der Tod selbst, denn vor ihr sind alle gleich.«
Ihre weitere Route führte sie zur kroatischen Küste, von
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