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Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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ordentlich aufgereiht neben der angelehnten Küchentür.
    Es war ganz still.
    »Karin.«
    Sie machte einen Schritt vorwärts und merkte im gleichen Augenblick, wie ihr Fuß auf etwas Weiches trat, das nachgab und leise knackte. Sie unterdrückte einen Schreckensschrei und kickte angeekelt den weichen Klumpen beiseite, bevor sie ihr Gleichgewicht wiederfand.
    »Karin?«
    Nina rief noch einmal, ohne eine Antwort zu erwarten. Dann machte sie einen weiteren Schritt, lehnte sich an den Türrahmen und tastete mit der freien Hand nach dem Lichtschalter für den Flur. Mit einem leisen Klicken wurde es hell, auf dem Fußboden kam ein angebissenes Sandwich zum Vorschein. Es steckte in einer Plastikfolie von Kvickly.
    Ninas Magen zog sich zusammen. Vielleicht hatte ja Mr. Miss das Sandwich aus der Küche in den Flur geschleppt. Aber als sie an die laut schluchzende Karin dachte, mit der sie vor anderthalb Stunden telefoniert hatte, wusste sie, dass es einfach zu still im Haus war.
    Sie setzte den Jungen auf dem Boden ab und blieb einen Augenblick unentschlossen vor der Wohnzimmertür stehen.
    »Du bleibst hier«, flüsterte sie und zeigte auf den Boden. »Nicht weggehen.«
    Der Junge sagte nichts, sondern sah nur ernst zu ihr hoch. Aus seinem Gesicht sickerte plötzlich wieder schwarze Angst, als sie sich mit einer langsamen Bewegung den Schweiß aus der Stirn strich. Der Junge fürchtete sich entsetzlich, und diese Situation trug sicherlich nicht zu seiner Entspannung bei. Nina wollte sich beeilen.

    »Karin!«
    Sie trat ins Wohnzimmer.
    Karin hatte die kleine grüne Lampe neben dem Sofa angeknipst. Der Fernseher lief ohne Ton und zeigte TV2 News. Nina erkannte den roten Balken und die bleichen, schlipstragenden Nachrichtensprecher.
    Sie lief schnell durch den Raum ans Fenster, von wo aus sie den Garten auf der Rückseite des Hauses überblicken konnte. Außer großen Tannen und einem etwas vernachlässigten Rasen voller Moos und Tannenzapfen war nichts zu sehen. Mit einem Seufzer zog Nina ihr Handy aus der Tasche, drückte die Rückruftaste und wartete. Der langgezogene Wählton ihres Handys wurde irgendwo im Haus von einem elektronischen Klingelton beantwortet, der ein echtes Telefon imitierte. Nina sah sich um. Das Klingeln kam aus dem Raum, bei dem es sich um das Schlafzimmer handeln musste, es klang aber seltsam gedämpft, als hätte man das Gerät in einen Eimer Wasser geworfen. Sie schaute zurück auf den Flur, wo sie hinter dem Türspalt die schmale Gestalt des Jungen sah. Er war tatsächlich stehen geblieben.
    Ein schneller Blick aufs Handy verriet ihr, dass es 20.28 Uhr war, die Zeit war also weder zu schnell noch zu langsam vergangen. Sie hatte nichts verpasst. Das hellblaue Display blinkte sie beruhigend an, als sie ihr Telefon in die Jackentasche gleiten ließ und die Schlafzimmertür aufschob.
    Karin lag mit angezogenen Beinen auf dem Bett, den Kopf gegen die Knie gelehnt, als mache sie gerade eine Yogaübung. Nina brauchte den Bruchteil einer Sekunde, bis sie das Bild, das ihre Netzhaut erreichte, richtig deuten konnte. Dann wusste sie, dass noch jemand im Raum war.
    Der Tod.
    Tote Menschen hatten etwas ganz Spezielles. Manchmal waren es nur Winzigkeiten, die jede für sich genommen kaum
auffielen, zusammen aber ein Gesamtbild ergaben, das Nina noch niemals hatte zweifeln lassen, wenn sie es sah. Das leicht nach außen gedrehte Handgelenk. Das seltsam abgewinkelte Bein, und der Kopf, der viel zu schwer auf der Matratze lag.
    Nina spürte einen ersten Anflug ihres allzeit entsicherten Fluchtinstinkts, zwang sich aber, näher ans Bett zu treten, während sie eine ganze Reihe weiterer Details wahrnahm. Karins blondes Haar war aufgefächert wie ein wallender, korngelber Glorienschein, in den sich dunkelbraune und rote Töne mischten. Das Laken hatte sich mit Blut vollgesogen, und als Nina den Körper ihrer Freundin vorsichtig auf den Rücken drehte, öffnete sich Karins Mund und ein Schwall von Blut und frisch Erbrochenem rann über ihr Kinn und die feuchten Fältchen an ihrem Hals. Nina sah, dass ihr zwei Zähne im Oberkiefer fehlten. An Hals und Kehlkopf hatte sie rotblaue Blutergüsse. Das Blut kam von einer Stelle oberhalb der Schläfe, aber Karins ganzer Schädel fühlte sich unter Ninas tastenden Fingerspitzen irgendwie weich und nachgiebig an. Der Tod war nicht unmittelbar eingetreten, dachte Nina, sie musste sich aus eigener Kraft zusammengerollt haben, wie ein verletztes Tier, das sich zum Sterben von der

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