Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
rühmlicher Umstand, wenn jemand ein Loch in den Dogenpalast sprengt und Gefangene einfach hinausklettern und weglaufen können«, gab sein Vater mit mildem Tadel zurück.
»Was für ein Glück, dass der Spiegelmacher nur verbannt wurde und man ihm nicht die Hände abgehackt hat«, warf Caterina ein. Auf ihren Wangen zeichneten sich scharf umrissene rote Flecken ab, vermutlich, weil ihr Mann den Namen Grimani erwähnt hatte. Das Getuschel in den Kreisen des Adels war nicht unbemerkt an Lorenzo vorübergegangen. Er verfügte über zu viele verlässliche Informationskanäle, als dass ihm hätte entgehen können, dass seine Mutter mit Enrico Grimani schlief. Ob sie es nach dem blutigen Eklat vor zwei Jahren immer noch tat, war eine andere Frage, über die Lorenzo nicht weiter nachdachte. Er war die meiste Zeit im Ausland und somit kaum noch in der Ca’ Caloprini. Seine Mutter sah er entsprechend selten. Es scherte ihn nicht, mit wem sie sich heimlich zu Schäferstündchen traf. Dass es unbedingt Enrico sein musste, war Salz in alten Wunden, aber er konnte damit umgehen. Hass war manchmal reinigend, aber auf lange Sicht konnte er das ganze Leben vergiften. Folglich ging er Enrico einfach aus dem Weg, obwohl sich das zunehmend schwieriger gestaltete, seit der Grimani-Erbe im Zehnerrat saß und zwangsläufig Einsicht in die diplomatischen Belange der Serenissima nehmen konnte.
Allerdings sah Enrico sich vor mit dem, was er tat oder sagte. Giovanni Caloprini trug seit einem halben Jahr die Purpurtoga eines Prokurators von San Marco, das höchste Amt nach dem Dogen. Anders als den Räten im Consiglio dei Dieci war ihm diese Würde auf Lebenszeit sicher. Er war zudem als Savio in das Kollegium gewählt worden und einer der wichtigsten Berater des Dogen.
Die Häupter beider Familien begegneten einander seit Jahrzehnten immer wieder in den Zentren der Macht, und alle Intrigen und Feindschaften vermochten nichts daran zu ändern, dass gewisse Zweckmäßigkeiten zu berücksichtigen waren, allem voran der Wohlstand und die Sicherheit der Serenissima.
Die Stimme seines Vaters riss ihn aus seinen unerfreulichen Gedanken.
»Warum hätte man ihm die Hände abhacken sollen, er hat nichts gestohlen«, sagte Giovanni gereizt zu Caterina. »Halte dich besser aus Dingen heraus, von denen du nichts verstehst!«
So leicht ließ sie sich nicht in ihre Schranken weisen. »Aber warum, um alles in der Welt, verbannt man so einen herausragenden Künstler?«, rief sie empört aus.
»Weil das nun mal die Strafe ist, die gegen das Verbrechen, das er begangen hat, zu verhängen war«, belehrte sie ihr Mann. »Man hätte ihn auch für ein paar Jahre in den Kerker sperren können, aber dann hätte er vermutlich irreparable Schäden erlitten und nie wieder eine Glaspfeife bedienen können.«
»Warum?«, fragte sie stirnrunzelnd. »Ist die Kerkerhaft denn schlimmer als die Verbannung?«
»Meine Liebe, vielleicht wirfst du einfach mal einen Blick in die unterirdischen Bereiche des Palazzo Ducale, und dann sprechen wir weiter über das Thema«, meinte Giovanni spöttisch.
»Was will uns der Spiegelmacher denn nun mit diesem Kunstwerk sagen?«, fragte Caterina mit begehrlichem Blick auf den Spiegel.
»Er will ganz offensichtlich zurückkehren.« Lorenzo fuhr erneut mit den Fingern über das Glas. »Und mit diesem Spiegel will er seinen Anspruch untermauern.«
»Ich hoffe, du machst dich dafür stark, Giovanni! So ein Mann muss der Serenissima unbedingt erhalten bleiben! Man stelle sich vor, dass er seine Spiegel woanders herstellt und verkauft! Was für eine entsetzliche Blamage!« Caterina hielt inne. »Kann ich den Spiegel haben? Ich meine, sobald die Signoria nach seiner Begutachtung über die Rückkehr des Glasmachers entschieden hat.«
Ihr Mann stand aus dem Lehnstuhl auf. Er trat an das große, bernsteinfarbene Fenster an der Stirnseite des Portego und blieb dort stehen, vom hereinflutenden Sonnenlicht wie in einen goldenen Nebel gehüllt. »Diese Schönheit«, murmelte er. »Auf gleicher Ebene mit all den Künstlern, deren Namen für Jahrhunderte im Gedächtnis bleiben werden. Wie ungerecht es doch ist.«
»Was ist ungerecht?«, fragte Caterina. Ihre Stimme klang unangenehm schrill.
»Dass die Bilder und Statuen der anderen Größen die Zeit überdauern werden. Man wird ihrer noch in ferner Zukunft lobend gedenken. Man wird Bücher über sie drucken und ihre Werke in Schreinen sammeln, um sie zu verehren. Aber dieses einmalige
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