Die Mädchen (German Edition)
du mir nichts davon
erzählt?“
„Ich hab einfach nicht daran
gedacht.“
Ihre Mutter musterte sie mit
zusammen gekniffenen Augen. Es war klar, dass sie ihr nicht glaubte. „Setz dich
mal hier hin.“
„Ich bin noch nicht fertig mit
Ausräumen.“
„Egal. Setz dich, Jackie.“
Jacqueline wusste scheinbar, wann
sie nachzugeben hatte, und setzte sich hin, so weit weg von Doreen, wie es
ging. Ihre Mutter stellte Mixer und Schüssel auf die Arbeitsplatte neben dem Geschirrspüler
und setzte sich ebenfalls.
„Also, was führt Sie zu uns?“
Doreen gefiel diese Frau. Das war
die erste Mutter, die ihr seit langem mal einigermaßen patent erschien. Sie
hatte das Gefühl, dass sie in der Lage sein würde, ihrer Tochter die
Informationen zu entlocken, die sie haben wollten.
„Wir hätten gern alles gewusst, was
Ihre Tochter oder Sie uns über Merle Grothe erzählen können. Jede noch so
kleine Information kann wichtig sein. Wer sind ihre Freunde, mit wem hat sie
sich getroffen, warum ist Ihre Tochter nicht mehr mit ihr befreundet?“
Frau Tarnat schnaufte. „Das kann
ich Ihnen sagen. Ich wollte nicht, dass Jackie sich weiter mit Merle trifft.“
Doreen war erstaunt. Das hatte sie
nicht erwartet. „Warum nicht?“
„Weil sie einen schlechten Einfluss
ausgeübt hat. Wissen Sie, ich bin allein erziehend und berufstätig, mein Mann
ist vor vier Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, da hab ich
zuerst nicht mitbekommen, was da los war.“
Doreen hielt den Atem an. Sollte
sie jetzt endlich etwas erfahren, das ihnen weiterhelfen würde?
„Sie haben getrunken. Ich hab sie
an der Bushaltestelle vorne an der Hauptstraße gesehen, als ich von der Arbeit
kam. Sie hatten beide so eine Flasche von diesen Alkopops in der Hand. Eigentlich
hatte Jackie bei Merle übernachten sollen, was ziemlich oft vorgekommen war.
Und plötzlich war mir klar, warum Jackies Leistungen in der Schule rapide
abgefallen waren.“
Sie deutete Doreens Blick richtig.
„Sie mögen sagen, na ja immerhin hat sie ja auch ihren Vater verloren. Aber das
war es nicht. Es fing erst vor anderthalb Jahren an und hier zu Hause hatte
sich nichts verändert. Ich bin dann zu den beiden hin und sie waren tatsächlich
sternhagelvoll. Sie können sich sicher vorstellen, wie ich ausgerastet bin.“
„Haben Sie mit den Grothes
gesprochen?“
„Worauf Sie sich verlassen können.“
Doreen wechselte einen vielsagenden
Blick mit Roman. Die Grothes hatten kein Wort davon erwähnt. Wahrscheinlich
hatten sie Schiss, Ärger zu bekommen, wenn ihre minderjährige Tochter so ohne
weiteres an Alkohol kam.
Frau Tarnat schnaubte. „Aber das
hätte ich auch lassen können. Ich meine, was kann man von einem Mädchen
erwarten, dessen Mutter an der Flasche hängt?“
Doreen fielen fast die Augen aus
den Höhlen. „Frau Grothe trinkt?“
Frau Tarnat zuckte mit den Achseln.
„Zumindest hatte sie eine Riesenfahne, als ich bei ihr ankam. Sie hat mich gar
nicht erst rein gelassen, wahrscheinlich damit ich ihre ganzen Flaschen nicht
sehe. Ich hab gleich gemerkt, dass das alles keinen Sinn hat und hab daraufhin
das Gespräch mit ihr sofort beendet.“
„Und dann?“
„Ich hab Jackie den Umgang mit
Merle untersagt.“
Doreen riskierte einen
unauffälligen Seitenblick auf das Mädchen, dem diese Unterhaltung mehr als
unangenehm zu sein schien. Sie konnte kaum still sitzen und ihre Hände waren
ständig in Bewegung. Sie strich über ihre nackten Beine, dann verschränkte sie
die Arme vor der Brust, dann fuhr sie sich durchs Haar. Es war klar, dass sie
an jedem anderen Ort lieber gewesen wäre als hier in der Küche mit ihrer
Mutter.
„Ist dir kalt?“ fragte Roman sie
plötzlich. Scheinbar war es ihm auch aufgefallen. „Willst du dir lieber eine
lange Hose holen?“
„Nein, ist schon gut.“ Die Antwort
kam hastig, gehetzt, irgendwie darauf bedacht zu vermeiden, dass sie sie in das
Gespräch hineinzogen.
Doreen überlegte einen Augenblick.
Sicher, ihre Mutter hatte ihr den Umgang mit Merle verboten, aber ließ sich ein
Mädchen in dem Alter davon wirklich beeinflussen? Sie hatte da so ihre Zweifel.
Und wie wollte Frau Tarnat denn kontrolliert haben, ob die beiden sich nicht
doch trafen? Schließlich arbeitete sie den ganzen Tag. Außerdem wusste doch
jeder, dass nichts so sehr reizte wie ein Verbot. Nein, sie war ziemlich
sicher, dass das Verbot an der Freundschaft der beiden Mädchen nicht gerüttelt
hatte. Und Jacquelines Verhalten, als das
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