Die Mädchen (German Edition)
schüttelte ihren Arm
ab. „Lass mich.“
„Mama“, rief Judith und warf sich
in ihre Arme. Mutter und Tochter hielten sich eng umschlungen und schluchzten
um die Wette. Die Freundin stand auf und beobachtete das Schauspiel. Sie hatte
verletzt gewirkt wegen der Zurückweisung, aber jetzt hatte Glen den Eindruck,
dass da noch etwas anderes in ihrem Blick mitschwang. Was es war, konnte er
allerdings nicht festmachen.
Er selbst fühlte sich unbehaglich
und wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Es war schrecklich
gewesen, der Frau die Nachricht vom Tod ihrer Tochter zu überbringen und sich danach
weiterhin in ihrem Haus aufzuhalten, erschien ihm irgendwie nicht richtig.
Hatte die Familie nicht ein Anrecht, diesen Schock zunächst einmal allein zu verarbeiten?
Er wusste, dass seine Anwesenheit hier erforderlich war, weil sie einen Mord
aufzuklären hatten, und außerdem drängte die Zeit, weil ein weiteres Mädchen
verschwunden war, aber dennoch kam er sich wie ein Eindringling vor, der sich
an dem Unglück anderer weidete.
Ein Blick auf Funke zeigte ihm,
dass es ihm nicht viel anders ging. Er vermutete, dass es seinem Boss sogar
noch schwerer als ihm fiel. Musste er sich nicht daran erinnert fühlen, wie
seine eigene Tochter vor nicht allzu langer Zeit aus den Händen eines Mörders
befreit werden musste und nur knapp demselben Schicksal wie die junge Keller
entronnen war?
Funke räusperte sich schließlich.
„Frau Keller? Es tut mir leid für Sie, aber wären Sie wohl in der Lage, uns ein
paar Fragen zu beantworten?“
„Sehen Sie nicht, dass sie das
nicht ist?“
Funke wandte sich der anderen Frau
zu, die vom Typ her nicht unterschiedlicher als Almut Keller hätte sein können.
Sie war klein und gedrungen, hatte schulterlanges, aschblondes Haar und trug
eine Brille mit dunklem Rand. Ihr Gesicht war rund und etwas teigig. Bei ihrem
Anblick musste Glen unwillkürlich an eine der Mädchen aus den Scooby Doo Comics
denken. Wie hieß die noch? Doris? Nein, war das nicht die Blonde? Wilma. Oder
verwechselte er das jetzt mit Familie Feuerstein? Egal, jedenfalls sah sie aus,
als hätte sie in der Schule alle Matheaufgaben im Kopf lösen können, aber
niemals den Jungen bekommen, den sie hatte haben wollen. Frau Keller hingegen
sah aus wie jemand, der niemals Probleme hatte, eine Begleitung zu finden. Die
Ähnlichkeit mit ihrer Tochter war offensichtlich.
„Frau…“, begann Funke.
„Ludwig. Zoe Ludwig.“
Zoe? Na großartig. Der Name schrie
ja förmlich nach einer problematischen Person.
Vielleicht war es ein Vorurteil, aber er hatte
bislang die Erfahrung gemacht, je ausgefallener der Vorname, desto schwieriger
der Charakter, und Zoe war nun wahrlich ein Paradebeispiel dafür.
Er
hätte sich nicht gewundert, wenn
Frau Ludwig
sie ihn sich
den Namen
selbst
gegeben hätte und sie in Wahrheit Monika oder so was hieß.
„Frau Ludwig, ich kann sehr wohl
nachempfinden, wie es in Ihrer Freundin aussieht. Aber wir sind nicht hier,
weil wir jemanden verärgern wollen. Wir wollen den Mörder finden und je schneller
wir mit unserer Arbeit beginnen, umso wahrscheinlicher ist es, dass wir Erfolg
haben.“
„Ist gut, Zoe.“
Zoe ging zu ihrer Freundin, die
sich aus der Umklammerung mit ihrer Tochter gelöst hatte, und legte ihr die
Hand auf den Arm. „Bist du sicher?“
„Ja.“
Zoe nahm wieder auf der Lehne neben
ihr Platz, während auf der anderen Seite das junge Mädchen, selbst mit
tränenüberströmtem Gesicht, den Arm um die Mutter gelegt hatte.
„Fragen Sie“, sagte Frau Keller,
während sie sich mit beiden Händen über die Augen wischte.
Funke ließ ihr einen Moment Zeit,
sich zu sammeln. „Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal gesehen?“
„Gestern morgen. Beim Frühstück.“
„Und ist Ihnen dabei etwas
aufgefallen?“
Frau Keller schüttelte den Kopf.
„Nein, gar nichts.“
Er wandte sich an die Tochter. „Und
Sie?“
„Sie können mich ruhig duzen.
Gestern nach der Schule. So gegen halb zwei.“
„Wo? Zu Hause?“
„Ja. Ich bin dann los, mich mit
meinem Freund treffen.“
„Wann haben Sie gemerkt, dass Sina
verschwunden war?“
Frau Keller zögerte einen Moment
mit ihrer Antwort. „Gegen zehn.“
Glen wechselte einen vielsagenden
Blick mit Funke, was der Frau nicht entging. „Ich hatte noch in der Firma zu
tun. Ein wichtiger Kunde mit Geschäftsessen und so. Sie wissen schon. Aber ich
war davon ausgegangen, dass Birthe alles im Griff
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