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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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erlebte.

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    Zwerg Nr. 7

    »Was glotzt `n so? Nièn Weihnachtsmann gese-
    hen?« Der Alte winkte verächtlich ab, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, schob das Glas über den Tresen. »Noch einen.«
    Ich hatte noch nie einen derartig traurigen Weihnachtsmann gesehen. Gewiß, sein Mantel war tadel-los gepflegt, wie neu, ohne ein Stäubchen, die Kapuze mit Fell gesäumt, dessen Haarspitzen silbrig glänzten, doch sein Bart war strähnig, ungekämmt, die Haut fahlgrau, zerknittert, wie brüchiges Pergament, Falten noch in den Falten, der Rücken krumm, die Schultern nach vorne gebogen, dabei ein Winz-ling. Er stierte unentwegt in sein Glas, hob den Kopf nur, um zu trinken und neu zu bestellen. Geld schien er zu haben, er schob einen Hunderter über den Tresen und winkte ab, als der Wirt herausgeben wollte.
    »Anzahlung«, sagte er.
    Armes Schwein, dachte ich. Wahrscheinlich hat er irgendwo beschert, hat die leuchtenden Kinderaugen gesehen, einen prächtigen Tannenbaum, eine fröhliche Familie, und nun sitzt er hier in dieser Kneipe, allein und verlassen, geplagt von Erinnerungen, und versucht, sie zu ersäufen. Wir waren die einzigen Gäste, und der Wirt sah uns an, als hätte er uns am liebsten rausgeschmissen. Ich wäre längst gegangen, 316
    aber draußen goß es in Strömen, und zu Hause erwartete mich ohnehin nur die Glotze.
    Der Wirt ging zur Tür, sah in den Regen, sah zu uns herüber, murmelte »nicht mal `n Hund vor die Tür«, knipste das Licht bis auf eine kleine Funzel hinter dem Tresen aus und stellte uns eine Flasche Korn hin. Wir sollten ihn rufen, wenn wir gehen wollten.
    »Scheußlich, sòn einsames Weihnachten«, sagte ich, nur um dem Alten eine Chance zu geben, sich auszusprechen, wenn es das war, was er brauchte.
    »In Ihrem Alter sollte man nicht mehr Weihnachtsmann spielen, hinterher ist es nur schlimmer.«
    »Weihnachtsmann…«, er schüttelte den Kopf, »eigentlich bin ich ein Zwerg, weißt du.«
    »Okay«, sagte ich, »also kein Weihnachtsmann.«
    »Ein richtiger Zwerg. Ein bißchen besoffen, aber echt. Zwerg Nummer sieben.« Er blickte mich prü-
    fend an. »Soll ich dir meine Geschichte erzählen?«
    »Red nur«, ermunterte ich ihn. »Ich hör dir zu.
    Weil Weihnachten ist.«
    »Du hast von den sieben Zwergen gehört?«
    »Klar, hinter den sieben Bergen. Ist lange her.«
    »Verdammt lange.« Er drehte sich um, lehnte die Schulter gegen den Tresen, breitete seine Arme über die Platte, klammerte die faltigen Hände an die Mes-singkante, sprach an mir vorbei in den dunklen Raum. »Du mußt wissen, ich bin nicht von hier.«
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    »Nein, von drauß' vom Walde kommst du her…«
    »Quatsch. Vom Aldebaran.« Er überzeugte sich mit einem Seitenblick, ob ich lachte.
    Ich schmunzelte nicht einmal. Wenn es ihm Spaß machte, sollte er von mir aus vom Großen Bären kommen.
    »Wirklich, vom Aldebaran.«
    »Das finde ich schön«, sagte ich, »daß die Leute vom Aldebaran so aussehn wie Weihnachtsmänner, entschuldige, wie Zwerge.«
    Er kicherte. »War `n Versehen. Du weißt doch, was Materilisation ist?« Das Wort bereitete ihm Schwierigkeiten, es klang eher wie Marilisohn. Er versuchte es ein zweites Mal.
    »Ich hab's schon verstanden«, sagte ich, »Materilisation. Kenn ich. Ich seh mir alle Science-Fiction-Filme an.«
    »Na also.« Er goß uns nach. »Prost! Ein schöner Planet, hat unser Kommandant gesagt, es wird euch gefallen. Uns war alles recht, Hauptsache, wir bekamen wieder mal festen Boden unter die Füße. Und Füße! Allerdings, so sagte der Kommandant, wäre die Gestalt, die wir annehmen müßten, ein wenig ungewöhnlich. Und ob!« Der Alte grunzte, strich mit den Händen über den Leib. »Aber ein Planet der Klasse S, kaum bewohnt, genug Platz, um in Ruhe zu arbeiten, ohne dauernd mit den Eingeborenen zu-sammenzustoßen.«
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    »Mit uns?«
    »Klar, mit wem sonst?«
    Ich mußte lachen, verschluckte mich, rang nach Luft, der Alte wummerte mit der Faust auf meinen Rücken, daß ich zusammenzuckte.
    »Hör auf«, schrie ich. »Mann, hast du eine Kraft, in deinem Alter!«
    Er sah mich wütend an. Seine Augen waren von einem eigenartigen wäßrigen Blau. »Du glaubst mir nicht, was?«
    »Entschuldige«, sagte ich, »ich mußte nur lachen, weil du ›unbewohnt‹ gesagt hast. Ich finde, die Erde ist übervölkert.«
    »Ja, heute. Aber damals Unmengen von Wald,
    Steppen, Wüsten, kaum Felder, winzige Ortschaften und nirgends Anzeichen einer technischen Zivilisation, das konnte

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