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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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die ganze Bevölkerung dieses Landes getötet hat.«
    »Und der die Überlebenden dazu zwang, auf Wanderschaft zu gehen«, ergänzte Bramble. »Außer dem Seevolk, natürlich. Bei denen hat er es zwar auch versucht, aber der See hat es vereitelt. Acton war ein eiskalter Mörder und Tyrann.«
    »Nein …« Merrick hielt inne. Er schaute erst die eine, dann die andere an, ließ seinen Blick von der dunklen Bramble zur rothaarigen Maryrose gleiten.
    Die Leute schauten oft von der einen zur anderen und fragten sich dann, wie die beiden Schwestern sein konnten. Merricks Blick, mit dem er Bramble musterte, war jedoch weder misstrauisch noch streng. Merrick war nicht nur ein netter, sondern auch ein vernünftiger Mann - fast gut genug für Maryrose.

    »Nun … natürlich wurden viele Menschen getötet«, fuhr er fort. »Aber er hat unsere Zivilisation gegründet, unsere ganze Lebensart. Und ihr - in euren Adern fließt zu drei Vierteln Blut von Acton.«
    Bramble lachte. »Bei mir nicht - jedenfalls nicht in den Augen von irgendwem, der mir je begegnet ist. Sie denken gleich auf den ersten Blick an einen Wanderer, und so behandeln sie mich dann auch.«
    »Du kannst deine Abstammung doch nicht wegen ein paar Vorurteilen abstreiten.«
    »Und wie ich das kann«, sagte Bramble. »Ich gehe auf Wanderschaft, hinaus, wo ich hingehöre.«
    Merrick wandte sich Maryrose zu. »Und was ist mit dir, mein Schatz?«
    Sie lächelte ihn zärtlich an, küsste ihn auf die Wange und legte ihre Hand in die seine. »Ich bin keine Wandrerin, Ric. Ich bin durch und durch Handwerkerin. Aber ich kann einfach kein Loblied auf Acton singen, weil ich weiß, wie viel Schmerz er verursacht hat - und alles aus Habgier.«
    »Habgier?«, protestierte Merrick erneut. »Sein Volk wurde vom Norden her angegriffen und in unbewohnbares Land gedrängt. Sie wären alle verhungert.«
    »Also haben sie ihrerseits unschuldige Menschen im Süden angegriffen. Und sind danach jedes Jahr aufs Neue über die Berge eingefallen«, sagte Maryrose ein wenig erschöpft.
    Bramble winkte ab. »Ach, es spielt doch keine Rolle mehr, Maryrose. Wir müssen in der Gegenwart leben. Es ist doch lächerlich; was vor tausend Jahren geschehen ist, betrifft uns heute nicht mehr.«
    Sie war froh, zu sehen, dass sich Merricks und auch Maryroses Gesicht erhellten, und die beiden sich wieder aneinanderschmiegten. Aber sie hatte gezittert, als sie jene letzten Worte ausgesprochen hatte, das gleiche Zittern, das sie verspürte,
wenn sie sich an den schwarzen Fels setzte und ihren Geist den einheimischen Göttern öffnete. Es war das erste Mal, dass sie ein durchdringendes Gefühl empfand, seit sie auf der anderen Seite des Abgrunds gelandet war, und obwohl es sie erschreckte, hieß sie es doch willkommen.
    »Bleibst du noch?«, fragte Maryrose zögernd.
    Bramble schüttelte den Kopf. Sie erkannte, dass ihre Eltern hier glücklich sein würden, doch sie selbst konnte nicht hierbleiben. Sie brauchte freien Himmel - Feld, Wald oder Berg. Außerdem hatte sie nach wie vor die dumpfe Ahnung, sie könne tot sein, irgendwie bloß ein Geist, der sich in einem Körper bewegte, und sie sollte alle Menschen meiden, die ihr lieb waren, um deren selbst willen. Selbst wenn sie sich mit Maryrose unterhielt, nahm sie diese wie durch eine trübe Glasscheibe wahr, eine unüberwindliche Hürde zwischen Leben und Tod. Sie war glücklich darüber, die Gelegenheit bekommen zu haben, sich zu verabschieden, bevor der Tod sie holte.
    »Nein«, sagte sie den beiden. »Ich bin kein Stadtmensch. Ich gehe nach Norden.«

    Sie blieb noch einen weiteren Tag, tat so, als sei alles in Ordnung, plauderte mit dem Rotschimmel und striegelte ihn - während ihre Schwester verblüfft zuschaute - und setzte sich dann in das große Vorderzimmer, in dem Maryrose ihren Webstuhl und Merrick seine Tischlerbank stehen hatten.
    Weder das Thema Acton noch Wanderer oder Kriegsherren sprachen sie noch einmal an. Stattdessen erzählte Bramble lustige Geschichten von den Lämmern, die sie von Hand aufgezogen hatte, den Eichhörnchen, die im Wald mit ihr schimpften, während sie ihren Nussvorrat begutachtete, ihren ersten ungeschickten Versuchen, den Rotschimmel
zu reiten, und von den Schmerzen, die sie hinterher gehabt hatte.
    »Ich bin gegangen wie eine Frau, die gerade ein Kind zur Welt gebracht hat, das schwöre ich euch«, sagte sie, »die Beine so weit wie möglich gespreizt, damit die wundgescheuerten Stellen mich nicht umbrachten. Und dann

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