Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
Mut.«
»Das hat nichts mit Mut zu tun«, erwiderte Busch und starrte Michael dabei böse an. »Es hat eher mit Dummheit zu tun. Du hast doch überhaupt keine Ahnung, wie stark der Sog ist, Michael. Er könnte dich unter Wasser ziehen und hier herausreißen, bevor du auch nur einen klaren Gedanken fassen kannst.«
»Entspann dich. Ich muss nur herausfinden, wie breit der Eingang ist.« Michael brachte eine Unterwasser-Taschenlampe zum Vorschein und rollte das Seil auf.
»Was?« Busch blickte fassungslos drein. »Was, wenn du da hineingerissen …«
Busch bekam nie Gelegenheit, diesen Satz zu beenden, denn Michael schnappte sich das zusammengerollte Seil und sprang ins Wasser. Er hielt sich mit der linken Hand an dem Seil fest, während er das zusammengerollte Ende mit der rechten langsam abrollte. Der Leuchtstab saß fest und trieb auf der Wasseroberfläche. Michael ließ das Seil langsam ganz ins Wasser gleiten und auf der Oberfläche treiben, bis es die Wand auf der anderen Seite erreichte. Genau wie das erste gelbe Licht verschwand auch dieses und wurde von der Strömung in die Tiefe gerissen, nur hielt Michael dieses Mal das Seil fest, sodass der Leuchtstab nicht verschwinden konnte. Michael holte tief Luft. Während er sich mit der linken Hand fest an das Seil klammerte, tauchte er ungefähr sieben Meter von der gegenüberliegenden Wand entfernt unter Wasser.
Dort erblickte er am Ende des Seils den tanzenden Leuchtstab, der verzweifelt freizukommen versuchte wie ein wahnsinnig gewordener Hund von der Leine. Sein gespenstisches Licht erleuchtete die Wand sowie ein anderthalb Meter dickes Rohr, das sich etwa zwei Meter unter der Wasseroberfläche befand. Michael hielt sich weiterhin mit der linken Hand an dem Seil fest, während er das andere Ende gleiten ließ. Er sah, wie der Leuchtstab langsam in die Röhre trieb und sich in den strudelnden Sturzfluten überschlug. Die Öffnung des Rohrs erstrahlte förmlich, als der Leuchtstab hineinglitt und darin verschwand. Michael schaltete die Taschenlampe ein und konnte sehen, dass das Rohr in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel in die Tiefe führte. Es dauerte nicht lange, und das Licht des Leuchtstabs verblasste, bis die Dunkelheit es völlig verschluckte.
Michael tauchte auf und zog sich mit den Händen Stück für Stück am Seil entlang zum Ausbiss der Felsen. Als er an dem Seil aus dem Wasser steigen wollte, packte Busch ihn am Kragen, riss ihn aus dem Wasser und warf ihn zu Boden. »Du bist ein Arschloch.«
Michael lag klatschnass da und versuchte, zu Atem zu kommen. Dann drehte er sich auf den Rücken, blickte zu seinem Freund auf und grinste ihn an.
27.
G ottes Wahrheit war Anfang der Siebzigerjahre von Yves Trepaunt gegründet worden, einem Arzt, der sich nicht damit abfinden wollte, dass die Kirche es ablehnte, wissenschaftliche Tatsachen zu berücksichtigen. Er war ein abtrünniger Katholik, der versuchte, sich seinen Glauben an Gott zu bewahren, während er auf dem Gebiet der Medizin eine beeindruckende Karriere machte.
Yves war das einzige Kind von Jacques Trepaunt, einem der heimlichen Drahtzieher der Vichy-Regierung. Er hatte seinen Zweihundert-Millionen-Besitz, den er vor allem durch Waffenhandel erworben hatte, seinem Sohn hinterlassen, der in der Folge seine vielversprechende medizinische Karriere aufgab, um sein Vermögen in seine religiösen Projekte zu investieren. Yves kaufte das korsische Kloster, das vormals die Sommerresidenz der genuesischen Herrscherfamilie gewesen war, und die fünfundzwanzigtausend Morgen Land, die dazugehörten. Er verließ das Gelände nur, um auf seiner fünfzig Meter langen Schaluppe, Gottes Wahrheit , auf dem Mittelmeer zu segeln.
Yves hatte festgestellt, dass es viele Menschen gab, die ebenso wie er die Kluft zwischen wissenschaftlichen Fakten und christlicher Doktrin für unüberbrückbar hielten, und so nahm seine ungeplante Karriere als Kirchenvater ihren Anfang. Er schuf sich eine Gefolgschaft von über zehntausend Menschen und legte den Hauptsitz der Kirche in das verlassene Schloss und Kloster auf den felsigen Klippen Korsikas.
Für den einundzwanzigjährigen, frisch vom College kommenden Julian Zivera war Yves’ Botschaft wie eine Offenbarung gewesen, und so hatte er um eine Audienz ersucht. Er traf in Gottes Wahrheit ein – mit einer Hand voll Diplomen, der eidetischen Gabe, die Bibel auswendig zu können, und mit einem Plan. Julian und Yves wurden schnell Freunde, und zwei Jahre später war Julian
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