Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
hatte. Dann nahm er ihm den Gürtel mit den Waffen ab und schlang ihn sich um. Rasch riss er eine Decke in Streifen. Nachdem er dem Mann den Umhang ausgezogen hatte, fesselte und knebelte er ihn. Der Umhang war ihm etwas zu klein, aber er musste als Maskerade reichen. Simon überlegte einen Moment, ob er sein Bündel mit der Laute mitnehmen sollte, entschied sich dann jedoch schweren Herzens dagegen. Es war zu auffällig.
Auf der schmalen Wendeltreppe begegnete ihm niemand. Auch die äußere Tür des Turms wurde zu Simons großer Erleichterung nicht bewacht. Nun befand er sich draußen auf dem sonnigen Hof, wo der gepflasterte Boden mit Pfützen durchsetzt war. Aus einem der Gebäude hörte er Frauenstimmen. Irgendwo wieherte ein Pferd. In einiger Entfernung hieb ein Knecht Nägel in einen schief hängenden Fensterladen.
Neben der Kirche konnte er das Klostertor sehen. Ein Flügel stand offen, auch davor schienen keine Wachen zu stehen. Simon zwang sich, nicht zu rennen, sondern gemessen darauf zuzugehen, als ob er ein Bauer oder ein Handwerker wäre, der irgendwelchen Geschäften nachgehen würde. Er war gerade auf der Höhe des Kapitelgebäudes, als plötzlich ein Kind aus einem Durchgang gerannt kam. Ein Mädchen, wie Simon nun erkannte. Leuchtend rote Locken quollen unter seiner Mütze hervor. Es hatte einen Vogel bemerkt, der über den Hof hüpfte, und staunte ihn an. Die Ähnlichkeit des Mädchens mit Luce und Francis war so groß, dass es Simon einen schmerzlichen Stich versetzte.
»Robin«, rief er leise.
Das Kind horchte auf, als es seinen Namen hörte. Doch als Simon langsam auf es zuging, wich es ängstlich zurück.
»Robin«, sagte er noch einmal sanft.
»Simon de Bohun, es war wirklich nicht nötig, dass Ihr aus dem Turm geflohen seid. Ich wollte Euch ohnehin als freien Mann zu mir bitten«, hörte er eine klare Frauenstimme sagen. »Ich bin auf Eurer Seite.«
Simon wirbelte herum. Eine große schlanke Frau, die den Habit einer Nonne und das goldene Kreuz einer Äbtissin auf der Brust trug, stand vor ihm und blickte ihn aufmerksam und, wie es ihm schien, ein wenig amüsiert an.
»Ach, und warum sollte ich Euch das glauben?«, gab Simon spöttisch zurück und fasste nach dem Dolch in seinem Gürtel. Aus den Augenwinkeln sah er, wie einige weitere Nonnen auf den Hof kamen und neugierig zu ihnen herüberblickten. Der Knecht ließ seinen Hammer sinken und wandte ihnen ebenfalls seine Aufmerksamkeit zu. Auf keinen Fall werde ich ohne Robin fliehen , ging es Simon durch den Kopf.
»Ich kann Euch keinen Beweis erbringen. Ich kann Euch nur bitten, mir Glauben zu schenken, dass mir ebenso viel an Adelas Wohl liegt wie Euch«, antwortete die Äbtissin.
Simon hörte, wie das Schmelzwasser monoton von einem Dach in der Nähe tropfte. Ann hatte in ihrem Brief von einer Dame geschrieben, die Adela vor William de Thorigny gerettet und ihr und Robin zu dem neuen Heim verholfen hatte. Handelte es sich dabei um die Äbtissin? Oder war dies eine besonders abgefeimte List, um ihn wieder hinter Schloss und Riegel zu bringen?
Plötzlich lief Robin, die bisher ängstlich und abwartend dagestanden hatte, auf die Äbtissin zu und verbarg ihr Gesicht in ihren Röcken.
»Mein Kind, du musst dich nicht fürchten«, sagte die Äbtissin und hob Robin hoch. Vertrauensvoll schmiegte sich das Mädchen an sie.
Einen Augenblick lang beobachtete Simon die beiden, ehe er seufzte und sagte: »Gut, Robin hat mich überzeugt, dass Ihr die Wahrheit sagt.«
»Dann sollten wir jetzt miteinander reden«, erwiderte die Äbtissin knapp.
*
»Also gehe ich recht in der Annahme, dass ich meine Gefangenschaft, meine lange Ohnmacht und meinen schmerzenden Schädel Euch zu verdanken habe?«, sagte Simon eine Weile später in Matildas Schreibzimmer und hob die Augenbrauen. »Wobei ich allerdings Eure Beweggründe, mich niederschlagen und hierher verschleppen zu lassen, nicht ganz nachvollziehen kann.«
Matilda blickte kurz zu Robin, ehe sie sich wieder Simon zuwandte. Das Kind war in lautes Weinen ausgebrochen, als Matilda es einer Nonne hatte übergeben wollen. Deshalb hatte sie das Mädchen mit in ihre Räume genommen und es auf ein Fell vor dem Kamin gesetzt, in dem ein großer Buchenscheit brannte und für eine angenehme Wärme sorgte. Robin hatte noch kurz mit ihrer Strohpuppe gespielt. Dann hatte sie sich auf dem Fell zusammengerollt und war eingeschlafen.
»Sosehr ich es jetzt auch bedaure – ja, ich bin für Eure
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