Die Rückkehr der Königin - Roman
hingenommen hatte. Sein Schwert sang, als er Melsyr zurückdrängte. Melsyr musste feststellen, dass er ins Hintertreffen geriet und gegen einen Meister um sein Leben kämpfte. Er kassierte einen Hieb, aber es gelang ihm, seinen Gegner zu verwunden, was offenbar noch keinem vor ihm geglückt war – doch selbst als er sich kurz über diese Leistung freute, war ihm bewusst, dass das alles war, was ihm gelingen würde. Seine Götter hatten ihn in einen Kampf geworfen, in dem er nicht siegen konnte; er würde den neuen Hüter des Tores treffen und mit seinem Vater in Glas Coil umherwandern, noch ehe dieser Tag vergangen war.
Gerade als er das dachte, durchbrach Sif seine Deckung. Sifs Klinge traf ihn seitlich in den Hals. Blut spritzte heraus, auch über Sifs Gesicht und Rüstung. Melsyr schwankte im Sattel, seine eigene Klinge entglitt seiner Hand und schnitt beim Hinabfallen noch in den Hals des Pferdes. Durch den Blutgeruch und den Kampflärm war das Tier ohnehin schon wie wahnsinnig. Es wieherte, warf seinen Reiter ab und preschte mit hängenden Zügeln und mit Blut besudeltem Sattel über das Schlachtfeld. Melsyr war tot, noch ehe er den Boden berührte.
Sif blickte kurz auf den früheren Gegner mit beinahe neidischer Hochachtung. »Getreu bis zum Letzten«, murmelte er. Dann richtete er sich auf und berührte mit den Fingern die geringfügigen Wunden, die Melsyr ihm zugefügt hatte, ehe er nach dem nächsten Gegner Ausschau hielt. Doch dann taumelte Sif unter einem Angriff, der aus einer völlig unerwarteten Richtung kam.
Sif! Halt ein! Es ist Zeit aufzuhören. Du hast geschworen, alle mit dem Zweiten Gesicht zu vernichten, aber in wessen Namen bekämpfst du uns? Du selbst bist einer von denen, die du vernichten willst! «
Das war undenkbar. Unmöglich. Unglaublich. Es war die schwarze Blume seiner Vorahnungen, die sich öffnete, um ihn zu verschlingen. Sein Kopf war ein großer Kessel, gefüllt mit Wut, Furcht. Was ... Wer ...
Es ist Anghara. Du und ich haben denselben Vater. Er hat uns beiden die gleiche Macht hinterlassen. Ich habe das Zweite Gesicht ... und du ebenfalls. Du auch, mein Bruder .
Im Herzen des Kupferscheins war ein Moment gefrorenen Schweigens, doch dann loderte er noch heller auf. Ein kaltes Feuer, wie ein Bronzeschwert, das den leeren Raum zwischen ihnen zerteilte und sich wie ein Dolch in Angharas Kopf bohrte. Darin lag grimmige Anerkennung, ebenso Verstehen, Wut und bittere Niederlage. Ich hätte dich töten sollen, als ich die Möglichkeit dazu hatte.
Anghara stockte ob dieser eiskalten Brutalität der Atem, ihr versagten die Worte. Und Sif fand inmitten des Kampfgetümmels zu sich und suchte nach ihr, allerdings nicht ausgebildet, durch den Weg, den sie gebahnt hatte. Mit dem wenigen, was er wusste, formulierte er seine eigene Botschaft. Seine Gedankenstimme war stark und deutlich. Ich wusste, dass das kommen würde , sagte er freudlos. Ehe dieser Kampf begann, wusste ich, dass es kommen würde. Ich bin alles, was ich immer verachtet und gefürchtet habe ... Ich bin das Krebsgeschwür, das ich herausschneiden wollte! Eine Niederlage ist bitter; ich habe sie auf dem Feld selten kennengelernt, aber ich weiß, dass diese wahr ist. Nun denn, du hast jetzt alles, kleine Schwester. Die Warterei war lang, aber wie geschrieben stand, so muss es am Ende sein. Und ich ... ich bin nichts außer einer Sternschnuppe am Firmament der Geschichte .
Sie wusste, was er vorhatte, und schrie oben auf dem Wehrgang von Miranei seinen Namen laut heraus. Es war ihr gleichgültig, wer sie hörte oder was die Leute davon halten mochten. Sie stand hoch und weit entfernt vom Moor da unten. Sif war Herr seines Schicksals. Am Ende war er eigenartig sanft.
Nimm es dir nicht so zu Herzen, kleine Schwester. Ich habe dir zwar den Tod gewünscht, aber was ich jetzt tue, tue ich nicht, um dir wehzutun. Wir können nicht beide in diesem Roisinan leben, das wir zwischen uns geschaffen haben; deine Vision siegt, und ich kann – und will – nicht danach leben. Ich habe immer gewusst, dass ich das Ende erkennen würde, und jetzt sehe ich es vor mir. Lebwohl, Königin von Roisinan. Ich kann dir nur mehr Glück wünschen, als mir beschieden war . Dann Schweigen und schließlich seine letzten Worte, schwach wie ein Echo, als hätte er gehört, was Melsyr vor wenigen Augenblicken durch den Kopf gegangen war: Möge der Geist meines Vaters Mitleid mit meiner Seele haben, wenn wir uns in den Schatten von Glas Coil begegnen
Weitere Kostenlose Bücher