Die Schatten von La Rochelle
bea b sichtigte, so viele wie mö g lich in den Tod m itzuneh m en.
Die bleierne Erschöpfung, die ihn irgendwann überka m , hatte ihn wohl einschlafen lassen, denn als ihn je m and an der Schulter berührte, däm m erte gerade der Morgen.
»Paul«, sagte eine Stim m e, »Paul.«
Er öffnete die Augen und sah sei n en Vater vor sich. Philippe war gealtert; seine Haare waren nun v o llständig weiß, und sein tief zerfurchtes Gesicht wirkte weniger ehrfurchtgebietend denn gebrochen. Paul blickte ihn an, ohne ihn wirklich zu erkennen; er wußte, daß der alte Mann ihm ein m al sehr viel b e deutet hatte, auch daß es einen Grund gab, auf ihn zornig zu sein, doch er konnte sich an keines dieser Gefühle erinnern.
»Mein Gott«, sagte Philippe fast schluchzend, »was ist m i t dir geschehen ? « Dann straffte er sich u n d sagte gefaßter: »Es ist vorbei, Paul. Der H erzog hat F r ieden ges c hlossen, deswegen bin ich hier, und nun, da auch La Rochelle seine T ore geöffnet hat…«
Das drang bis zu Pauls Verstand vor. »Die Tore sind geöffnet? W arum sind dann noch keine Soldaten hier ? «
»Oh, hat m a n es euch noch nicht mitgeteilt? Der gesa m t en Bevölkerung wird vollständiger Pardon gewährt, nachdem sie sich ergeben hat, bis auf Guiton und fünfzehn and e re aus dem Rat, die verbannt werden. Paul, ich weiß, daß zwischen uns böse Worte gefallen sind, aber jeder P rote s tant in Frankreich hat für e u ch alle in La Rochelle gebetet, und…«
»Es wird vollständiger P ardon gewährt«, wiederholte Paul.
Philippe nickte. »Ja, und der Kar d inal hat versprochen, daß weiterhin Gewissensfreiheit herrschen wir d .« Erst j e t z t be m erkte er im all m ählich heller werdenden Licht der Sonne die Leichen von Jacqueline, von dem Kind, von Si m on.
» W as…«
Paul hörte ihn nicht m ehr. Vollständiger Pardon. Keine Zwangsbekehrungen. Natürlich hatte der Kar d inal gewußt, was sie alle befürchteten, und er hatte gewußt, daß er ihnen nichts davon antun würde. Aber es war unmöglich gewesen, ihnen das zu sagen, denn er wollte, was er von Anf a ng an gewollt hatte: Er wollte sie als gebrochene Untertanen. Keine freie Sta d t, die Bedingungen stellte, sondern Untertanen, die ihr Leben und ihren Glauben als Gnade von ihrem Herr s cher empfingen, nachdem sie sich ihm bedingungslos ausgelie f ert hatten.
Es war so logisch, so bestechend logisch. Und um dieser Logik willen waren von den fünfundzwanzigta u send Einwohnern der Sta d t La Rochelle höchstens noch fünft a usend am Leben. Um dieser Logik willen war Jacqueline t o t, und das Kind, und der letzte Rest von Paul d’Irsd m asens.
Philippe, der inzwischen das Blut an Paul be m erkt haben m ußte, hatte wohl endlich die richtigen Schlüsse gezogen und sagte irgend etwas von besessen und teuflisch. P aul ignorierte ihn. E r erhob sich, verließ das Zimmer, verließ das H a us. Als er in die b l en d e nd e Mo r gensonne trat, wurde ihm bewußt, daß er die drei Leichen nicht m ehr angesehen hatte. Aber es war auch nicht nötig. Ihr Anblick hatte sich in ihn eingebrannt und war zu einem Teil von ihm geworden. Zu töten, wie er letzte N acht getötet hatte, konnte d a s Bild vielleicht für kurze Zeit verschleiern, aber endgül t ig würde es erst verschwinden, wenn er irgendwie, irgendwann die Macht gefunden hatte, es dem Verursacher zurückzubringen. Zu Seiner E m inenz, dem Ersten Minister, Kardinal Richelieu.
VII
D IE V OLLSTRECKUNG
Die Liebe ist für unser H erz, was die Winde dem Meer sind: freilich erregen sie oft Unwetter, ver u rsachen sogar oft Schiffsbrüche.
Ninon de Lenclos: Briefe
28. KAPITEL
»Nun«, sagte Fontrailles und konnte die Erwartungsfreude in seiner Stim m e nicht ganz unterdrücken, »ist das nichts?«
Die anderen Verschwörer studierten den Vertrag, den er m itgebracht hatte. Keiner von ihnen wirkte begeistert. » W as ich nicht verstehe«, sagte Cinq Mars, »ist, wieso Ihr so lange dafür gebraucht habt und er trotzdem nicht vom spa n ischen König unterschrieben ist. So werdet Ihr die Reise noch ein m al m achen müssen, wenn wir unterzeichnet haben.«
»Olivares hat darauf bestanden, daß Monsieur und die Königin zuerst unterzeichnen«, gab Fontrailles zurück und be m ühte sich, nicht eingeschnappt zu klingen. Natür l ich, jeder von ihnen war der Meinung, er hätte günstigere Bedingungen aushandeln können. Aber keiner von ihnen hätte Spanien unentdeckt durchqueren
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