Die seidene Madonna - Roman
dem Handrücken über den Mund. »Du bist ja schon fast so groß wie Catherine!«
René wurde rot und beugte sich über den dampfenden Teller, den ihm der Koch gereicht hatte.
»Außerdem siehst du bald genauso schneidig aus wie François d’Angoulême, Kleiner«, spottete er. »Schaut euch nur sein Batisthemd an, das könnte glatt aus Seide sein!«
»Ach was, die Pagen von Königin Anne tragen viel schönere Stoffe«, mischte Catherine sich ein. »Und Monsieur François sollte als Thronfolger eigentlich ganz besonders kostbar gekleidet sein.«
Gonfreville schnalzte mit der Zunge.
»Aha! Es ist noch gar nicht so lange her, seit er abends oft ganz zerlumpt nach Hause kam.«
»Da war er aber auch noch ein Kind«, hielt Catherine dagegen, »und noch kein Thronerbe.«
»Und was ist jetzt, verdammt noch mal?«, schimpfte Gonfreville.
»Jetzt ist er leider noch immer nicht besser gekleidet als die Pagen von Anne de Bretagne. Was dich betrifft, René, muss ich schon sagen - auch wenn dir Monsieur Gonfreville gerade ein Kompliment gemacht hat -, du bist längst nicht so schneidig wie sie.«
Gonfreville lachte laut los.
»Und was ist mit dir, meine Kleine! Bist du denn gut ausgestattet mit feiner Wäsche?«
Er leerte seinen Weinkrug mit einem Zug, stellte ihn geräuschvoll auf den Tisch und legte seinen Arm um Catherines Taille.
Jean-Baptiste bedachte Gonfreville mit einem wütenden Blick und schluckte, sagte aber nichts. Gonfreville führte sich so auf, als sei er der rangälteste unter den Dienstboten von Louise. Oder war er etwa nicht schon der Schildknappe des Grafen d’Angoulême gewesen? Hatte er ihm nicht treu gedient und war ihm überallhin gefolgt, bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit? Als junger Mann hatte er nicht wenige Eskapaden des verstorbenen Comte miterlebt.
»Monsieur Gonfreville!«, versetzte Catherine empört. »Ich fürchte, Euer hohes Alter verwirrt Euch ein wenig. Eure Bemerkungen sind nicht gerade fein, und Eure Hände wissen wohl auch nicht mehr, wohin sie gehören.«
Die ganze Tischrunde brach in Gelächter aus.
»Schönste Catherine!«, rief nun Gonfreville und zog seine Hand zurück, »nichts liegt mir ferner, als Euch zu belästigen!«
Gonfreville ging auf die fünfzig zu, und wie alle gut aussehenden Fünfzigjährigen spielte er gern seinen Charme bei den Küchenmägden und den Zimmermädchen von Louise aus.
Neugierig beobachtete René Catherine, aber die hatte weder Augen für Gonfreville noch für Jean-Baptiste. Er wusste längst, dass sie sich keinem anvertraute und außer einer gewissen Francette, einem ehemaligen Küchenmädchen von Königin Anne, keine Freundin hatte und sich nur sehr selten amüsieren ging. Allerdings räumte ihr die Gräfin im Gegenzug für ihre absolute Diskretion zahlreiche Privilegien ein.
Ob es René genauso ergehen würde, war noch lange keine Selbstverständlichkeit. Der junge Page diente nicht lange genug bei seiner Herrin, um in den Genuss von Privilegien zu kommen, auch wenn er bemüht war, alle Aufträge diskret und gewissenhaft zu erledigen. Er beteiligte sich nicht an den Gesprächen, sondern hörte nur zu und berichtete dann alles Dame Louise. Das war der Verhaltenscodex für alle Pagen: Immer aufmerksam sein, genau zuhören, alles sehen, alles verstehen und schließlich der Herrin oder dem Herrn berichten.
Er beeilte sich mit dem Essen und verließ bald wieder die Küche. Ehe er zur Gräfin durfte, musste er erst in die Kammer laufen, die ihm als Zimmer diente und weiter weg war als die von Catherine, weil ein pflichteifriges Zimmermädchen immer in einer Kammer gleich neben den Gemächern seiner Herrschaft schlief.
René schlüpfte in sein weißes Wams, rückte seine Hosen zurecht und nahm seine Laute. Dann schloss er die Tür zu seiner Kammer hinter sich, spähte durch den dunklen Gang, um sicherzugehen, dass ihm niemand begegnete, der ihn aufhalten könnte, und rannte zu den Gemächern der Gräfin.
Der Junge war nicht dumm, und Louise war froh, dass sie ihn in ihre Dienste genommen hatte. Aufmerksam und zurückhaltend wie er war, leistete er sich keine Schnitzer und schwieg still, sobald sich Louise in Gesellschaft ihrer Freundinnen oder anderer
Personen aus ihrem Gefolge befand. Er redete nur, wenn er mit ihr allein war. René lernte schnell, seine Gebärden wurden vornehmer, und in seinem ganzen Auftreten passte er sich geschickt dem Hofstaat an.
Zu seinem Glück hatte seine Mutter die erforderliche Zeit aufgebracht, damit
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