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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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zurücklag? So ähnlich hatte Lichtinger gedacht, als er das Fehlen der SMS zum ersten Mal registrierte. Eine Trauung hatte gerade angestanden und am Nachmittag noch eine Beerdigung. Und nach ein paar Tagen war es schon zur Gewohnheit geworden, keine SMS mehr zu bekommen. Aber jetzt, in der Stille des goldgelben Lärchenwaldes, beim Blick in die schwarzen Augen des Falken, war Joseph Lichtinger plötzlich beunruhigt. Er brachte das Tier zurück in die riesige Voliere, zog den Handschuh aus und hängte ihn an den Haken in der Hütte. Er suchte nach seinen Autoschlüsseln und schaltete den Laptop ein.

10
    Eine Entscheidung
    Als Stefan Treysa an diesem Morgen aufwachte, fror er. Es lag nicht an der erstaunlichen Kühle der feuchten Oktoberluft, die durch das geöffnete Fenster hereinkam. Er strich über den Ärmel seines Schlafanzugs, immer noch ein wenig feucht, er musste wirklich stark geschwitzt haben in der Nacht. Einige Fetzen seines Traumes waren noch da. Und der Mann war da, um den es ging, die ganze Nacht, immer wieder. Gabriel Tretjak, sein Patient, sein Freund. Eine Traumsequenz fand an irgendwelchen Bahngleisen statt. Tretjak lief schnell, immer schneller, und er lief hinterher, versuchte ihn einzuholen. Aber es gelang einfach nicht. Dann lief Tretjak langsamer, aber er erreichte ihn trotzdem nicht. Irgendetwas war mit seinen Beinen. Als würde er am Boden festkleben, als wäre Kaugummi an seinen Füßen. »Macht nichts«, hatte Tretjak irgendwann gesagt in dieser Nacht. »Macht nichts. Ich schaffe es auch alleine.«

    Stefan Treysa stand auf, mit der Ahnung des quälenden Gefühls dieser Nacht: Ich muss zuschauen, wie er ins Unglück läuft. Ich kann ihm nicht helfen. Es war zehn Minuten vor sieben. Das Bett neben ihm war leer. Seine Frau war eine Woche weg, in Brüssel, auf einer Tagung eines internationalen Bankenverbandes. Seine Frau war Wirtschaftsanwältin, eine große Nummer, die Big Shots der Wirtschaftswelt waren ihre Kunden. Sie verdiente an einem Tag oft mehr als er in einem ganzen Monat. Er profitierte davon. Ihr Geld war sein Geld. Sie hatte kein Problem damit, er auch nicht.
    Meistens setzte sich Treysa am Morgen sofort an seinen Schreibtisch, um die Spuren seiner Träume festzuhalten. Er hatte einen eigenen Traumordner in seinem Computer angelegt. Die Dateien hießen Ängste , Unterbewusstes , Auftrag , Horror und so weiter. Er hatte ein System entwickelt, die einzelnen Kapitel zeitlich miteinander zu verbinden. So entstand eine Traumlinie, sein eigenes, sehr persönliches Traumleben. Begonnen hatte er damit bei seiner Ausbildung als Therapeut, vor mehr als einem Vierteljahrhundert.

    An diesem Morgen schrieb Treysa nichts auf. Es war also ein guter Tag für Fritz, seinen Dackel. Normalerweise musste Fritz warten, bis sein Herrchen mit seinen Notizen fertig war. Doch heute ging es gleich los. Treysa zog sich an, Jeans, wie immer, weißes Hemd oder schwarzes Hemd, heute ein weißes. Fritz wartete schon an der Wohnungstür, ließ sich geduldig die Leine anlegen. Der Dackel hieß Fritz nach Treysas strengem Vater. Ein Leben lang hatte er Angst gehabt vor seinem Vater, der herrisch und durch und durch humorlos gewesen war. Der Kontrast gefiel ihm. Da der alberne kleine Dackel, dort der überernste Vater.
    Fritz zog ihn die zwei Stockwerke die Treppen hinunter. Und Fritz kannte natürlich genau den Weg: draußen auf der Klenzestraße links, immer geradeaus, über drei Kreuzungen, dann war bald die Isar erreicht, dort durfte er frei laufen, auch da kannte er die Richtung, links und dann immer geradeaus, ein paar hundert Meter, bis vorn an die Brücke zu dem Kiosk. Treysa trank seinen Kaffee und aß eine Butterbrezel, Fritz bekam einen Snack, ein Hanuta. Das gab es nicht überall, aber dieser Kiosk hatte es. Fritz liebte Hanuta.
    Treysa trank seinen Kaffee im Pappbecher aus und schaltete sein Handy an. Eine Nachricht von seiner Frau, ein Gutenmorgengruß. Keine Nachricht von Gabriel Tretjak. Wieder keine Nachricht. Gestern wäre ihre Therapiestunde gewesen, entweder wie die letzten Wochen via Skype, oder Gabriel wäre nach München gekommen. Er hatte sich das offengelassen, wollte vorher Bescheid sagen. Er hatte von ein paar Reisen gesprochen, die er plante. Doch weder hatte er sich gemeldet, noch war er zur Therapiestunde erschienen. Treysa konnte die Male schon nicht mehr zählen, die er ihm auf die verschiedenen Mailboxen gesprochen hatte, nüchtern, lustig, drängend, gereizt, alle Varianten

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