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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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eingraviert auf der Rückseite. Seine alte Uhr hatte er abgelegt. Es war die Uhr des Vaters gewesen, ein Erbstück der Familie von Kattenberg. Sie hatte sich plötzlich unangenehm angefühlt, schwer, lästig. Als ihn seine Frau danach gefragt hatte – die ja nicht wusste, immer noch nicht wusste, dass er zur Familie der von Kattenbergs gehörte –, da hatte er nur geantwortet, er hätte einfach das Bedürfnis nach einer neuen Uhr, nichts weiter.

    Hatte er Angst? Er würde es so nicht ausdrücken, natürlich nicht. Er sah die Situation als eine Herausforderung an, Ruhe zu bewahren. Er hatte seiner Frau, seiner Führungsriege in der Bank und seinen Bekannten gesagt, es lägen Morddrohungen gegen ihn und seine Familie vor. Er hatte es den Sicherheitsleuten gesagt, die er engagiert hatte, und er hatte es der Polizei gesagt, die er dann doch benachrichtigt hatte, um seine Frau zu beruhigen. Er hatte sich dazu eine Geschichte zurechtgelegt, er sei auf der Straße von einem Unbekannten angesprochen worden, der ihn bedroht hatte und dann wieder verschwunden war. Natürlich war das erfunden, aber was hätte er sonst sagen sollen? Dass er in Wahrheit eine andere Identität hatte, dass er aus einer der fürchterlichsten Nazi-Familien stammte, dass er zusammen mit seinem Bruder und seinen zwei Cousins dieses alte Leben ausgelöscht hatte und ein neues hier in New York angefangen hatte? Und dass diese drei Familienmitglieder bereits umgebracht worden waren und er vermutlich als Nächster dran war? Das hätte er sagen sollen? Seiner Frau, in der Bank, allen? Und dann? Was wäre dann von seinem neuen Leben übrig geblieben?
    Nein, Unsinn, er musste allein damit fertigwerden. Und er musste warten, weiter warten. Irgendwann würde etwas geschehen, würde sich der Erpresser melden und Geld fordern, was sonst würde er haben wollen, natürlich würde es Geld sein. Und wenn es sein Kopf war, den sie haben wollten? Wäre das schlimm? Hing er noch an seinem Leben? An den beiden Kindern hing er, aber die würden auch ohne ihn groß werden. Nein, wenn sie seinen Kopf wollten, dann war es eben so. Wäre es vielleicht sogar eine Erleichterung zu sterben? Das Spiel zu beenden?
    Und wenn einfach gar nichts passierte? Wenn das Warten immer weiterginge, mit all den Sicherheitsleuten um ihn herum? Er allein mit seinen inneren Monologen, und es würde nie enden? Das wäre auch eine grausame Art, ihn zu bestrafen, oder?
    Aber wofür sollte er eigentlich bestraft werden? Dafür, dass sein Großvater, der fünf Jahre vor seiner Geburt hingerichtet wurde, ein schrecklicher Mörder und unglaublicher Sadist gewesen war? Dass sein Vater an diesem Vater zerbrochen war, die Karikatur eines Mannes, wehleidig, schwach, verachtenswert? Und dass er eines Tages beschlossen hatte, mit diesem Stammbaum nichts mehr zu tun haben zu wollen? Dafür sollte er bestraft werden? Warum? Von wem?
    Das Geld. Das Geld des Großvaters. Der unermessliche Reichtum des Großvaters. Blutgeld, Blutmillionen, ja, das konnte man ruhig aussprechen, das stimmte alles. Aber hatte er sich schuldig gemacht, mit diesem Geld noch reicher zu werden? Mit diesem Geld eine Bank zu gründen, Arbeitsplätze zu schaffen, ja, auch viel Gutes zu tun? Er musste schmunzeln, kurz, bei seinem inneren Monolog. Er könnte vor einem Jüngsten Gericht beweisen, für wen er alles gespendet hatte, für welche wohltätigen Einrichtungen, auch für die Juden in aller Welt. Alles Gute wurde säuberlich festgehalten. Klar, es war Blutgeld. Aber war das alles nichts? Und, liebes Jüngstes Gericht, was sollte daran verwerflich sein, aus der eigenen Geschichte zu verschwinden? Er kannte kein Gebot, das dies untersagt hätte. Oder? Du sollst nicht lügen, du sollst kein falsches Zeugnis ablegen? Nun ja, Ansichtssache. Definitionssache.

    Es war gegen 14 Uhr New Yorker Zeit, als der Mann, der sich Gabriel Tretyak nannte, in seinem Büro kurz durchatmete. Er hatte zwei Besprechungen hinter sich, harte Besprechungen, es war um den Verkauf von Beteiligungen seiner Bank an einer Firmengruppe gegangen, in Wahrheit war das Ende dieser Firmengruppe besiegelt worden, die Firmengruppe war erledigt ohne das Geld der Bank. Tretyak liebte solche Besprechungen, gerade jetzt, sie lenkten ihn so schön ab, von seinen inneren Monologen, von all dem Elend.
    Es war genau 14 Uhr 12, als die erste SMS kam. Deine Kinder, James und Hadley, sind sicher beide nette Jungs. Du musst dich entscheiden: Wer von beiden soll leben, wer von

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