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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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da war eine innere Stimme, die ihm sagte, er hätte besser eins von Ute Frankenberg mitgenommen. Und er solle ihr lieber das zeigen. Er solle sie fragen: «Wer ist das, Frau Bender?»
    Und im Geist sah er sie lächeln, so intensiv, so besorgt und zärtlich wie auf dem Foto in ihrem Zimmer. Und im Geist hörte er sie mit wehmütigem Unterton sagen: «Das ist Magdalena.»

14.   Kapitel
    Ihr Haar war noch feucht. Sie hatte es nach dem Frühstück gewaschen. Und Margret hatte vergessen den Föhn einzupacken. Es war Nachmittag, das wusste sie. Viel mehr wusste sie nicht, nur dass ihr Haar noch feucht war. Sie spürte es kühl im Nacken. Wenn ein Windhauch von draußen hereinkam, fühlte sie auch die Kühle am Kopf. Aber sonst fühlte sie nichts.
    Einmal hatte es am rechten Bein gejuckt, unterhalb der Kniekehle an der Wade – als ob sich ein Insekt dorthin gesetzt hätte. Es war schon eine Weile her. Sie hatte lange überlegt, ob sie an die Stelle fassen sollte – kratzen oder das Insekt verscheuchen. Es hätte eine Mücke sein können. Sie hatte sich auf die Stelle konzentriert und herauszufinden versucht, ob sie es nur durch Konzentration identifizieren oder zum Verschwinden bringen konnte. Hingeschaut hatte sie nicht, auch nicht hingefasst. Irgendwann hatte das Jucken aufgehört. Vor einer halben Stunde. Da war sie sicher, sie hatte die Sekunden gezählt.
    Seit sie vom Professor zurück war, beschäftigte sie sich ausschließlich mit Zählen. Sie war weit über zehntausend gewesen, als das Jucken am Bein sie unterbrach und sie wieder von neuem beginnen musste. Achtzehn! So alt war Magdalena geworden. Neunzehn – so alt war sie damals gewesen. Zwanzig – da hatte sie langsam zu leben begonnen. Einundzwanzig – da hatte sie sich eingebildet, ein Leben führen zu können wie tausend andere, mit einem Mann, der zu dumm war, um gefährlich werden zu können. Aber das war ein Irrtum gewesen. Zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig   … aus.
    Der Professor hatte gesagt: «Ich sehe, Sie haben Ihr Haar gewaschen, Frau Bender.»
    Zu dem Zeitpunkt war es noch nass gewesen, nicht nur feucht. Dem Professor hatte es gefallen. Er hatte gefragt, wie oft sie es früher gewaschen habe? Doch sicher täglich! Ob es Naturlocken seien oder eine Dauerwelle. Und welches Shampoo sie benutzt habe, es dufte so angenehm frisch.
    «Es ist auch ein sehr gutes Shampoo», hatte sie geantwortet. «Der Chef hat es mir mitgebracht. Wo ist er? Habe ich ihn umgebracht?»
    Sie wusste, sie hatte auf ihn eingestochen – mit dem kleinen Messer, das auf der Bar lag. Irgendwie hatte sie es zu packen bekommen. Und in dem Augenblick, als sie auf ihn einstach, war er nicht der Chef gewesen. Nur einer, der etwas tat, was er nicht tun sollte. Dann hatte sie noch einmal, nur für einen winzigen Moment, sein Gesicht gesehen, hatte ihn auch erkannt, aber nicht mehr feststellen können, ob er blutete, ob er überhaupt noch am Leben war. Es war gleich dunkel geworden.
    Und dann ein weißes Bett und ein schmales, besorgtes Gesicht, das sich über sie beugte. Der sauber gestutzte Bart fehlte. Er hat ihn abgenommen, war ihr erster Gedanke gewesen. Er hat sich rasiert, während ich schlief. Sie wartete darauf, dass er sie Orangensaft trinken ließ oder ihre Arme und Beine bewegte. Dass er sie aufforderte, ein Gedicht aus der Schulzeit aufzusagen, oder etwas in die Kanüle auf ihrem Handrücken injizierte. Oder den Verband am Kopf überprüfte oder in ihre Ferse pikste.
    Und die Angst, diese wahnsinnige Angst, dass alles von vorne begonnen hatte, dass sie es noch einmal durchleben musste: Heimkommen. Mutters gleichgültige Stimme an der offenen Haustür. «Cora ist tot. Meine Töchter sind beide tot.»
    Und Vater an ihrem Bett. «Was hast du getan, Cora?»
    Und Grit mit ihrem ängstlich besorgten Gesicht, nicht wissend, ob sie reden durfte oder schweigen musste. Sich langsam vorantastend. Jeder Satz ein Hammerschlag. «Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Margret hat sich um alles gekümmert. Auf ihrem Totenschein steht Herz-Nieren-Versagen. Margret hat sich die Unterlagen aus Eppendorf geholt und eine Leiche besorgt, ein Junkiemädchen, glaube ich. Ihr Freund hat ihr geholfen, er hat auch den Schein ausgestellt.»
    Grit hatte den Kopf geschüttelt, gleichzeitig mit den Achseln gezuckt und weitergesprochen: «Es war eine junge Frau. Margret hat sie im Auto hergebracht. Ein Himmelfahrtskommando, aber wir brauchten ja etwas für die Beerdigung. Wir haben sie

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