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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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Nähe.

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    D amit unser Plan gelang, musste Eshkol natürlich laufen können. Außerdem erweckten die Qualen, die Said seinem Gefangenen zugefügt hatte, trotz all der verachtenswerten Dinge, die ich über den Mann wusste, ein elementares Mitgefühl in mir. Aus diesen beiden Gründen tat ich mein Bestes, Eshkols blutende Fußsohlen zu säubern, abzutupfen und zu verbinden, und vergaß in meiner Abscheu über die erlittene Folter, dass jemand mit seiner Ausbildung und seinem Charakter wahrscheinlich noch auf blutenden Stümpfen hätte laufen können, sofern er glaubte, dass es seinen fanatischen Zielen dienlich wäre. Was ich tat, war nicht gnädig, sondern töricht, und ich – und niemand sonst – hätte derjenige sein müssen, der für den Fehler bezahlte. Wäre es so gekommen, hätte die folgende Tragödie vielleicht sogar irgendeinen verqueren Sinn ergeben.
    Kurz vor dem festgesetzten Zeitpunkt von Eshkols Tod begleiteten wir alle Major Samad zur Hinrichtungsstätte: dem Dach eben jenes aufgegebenen Hotels, auf dem wir zuvor von Bord unseres Schiffes gegangen waren. Die Malaysier hatten auf weitere clevere Vorschläge Tarbells hin ein falsches Kommandozentrum auf dem Dach eingerichtet, wie es General Said selbst vielleicht benutzt hätte, um seine Truppen zu befehligen. Colonel Slayton war sich ziemlich sicher, dass wir bereits unter Satellitenbeobachtung standen, immerhin hatten die Vereinigten Staaten in den letzten dreißig Jahren bei ihren Versuchen, diverse schwer auffindbare Führer ihrer Feinde aufzuspüren, eine Menge Erfahrung mit solchen Fernüberwachungsoperationen gewonnen. Als wir schließlich zu Said zurückkehrten, der sich in einer halb zerstörten Suite auf einer der unteren Etagen des Hotels verborgen hielt, erklärte der Colonel, dass die Authentizität der Bühne und der Requisiten sicherlich das erwünschte Resultat erzielen würde. General Said war sehr erfreut über diese Bestätigung seitens eines Offizierskollegen und befahl seinen Männern wenig später, Eshkol heraufzubringen.
    Gemäß dem Plan hatte man den Gefangenen in eine Uniform gesteckt, die große Ähnlichkeit mit der von Said aufwies, und seine Gesichtsbehaarung sorgfältig der des Generals angepasst. Dieser brachte eine gewisse Besorgnis über die offenkundige Diskrepanz zwischen seiner Körpergröße und der seines Doppelgängers zum Ausdruck; aber Slayton erklärte ihm, dies würde wohl kaum eine Rolle spielen, weil die amerikanischen Satelliten ja von oben herabblickten. Der Colonel und Said besprachen die Details der Operation weiterhin auf eine zunehmend kollegiale Art und Weise, die den General vollständig ablenkte; und während er solcherart in Anspruch genommen war, schlichen sich Larissa und Tarbell zur Bowlinghalle zurück, um Eshkols Rucksack und den Sicherheitsbehälter mit dem Plutonium zu holen. Bald darauf kamen sie mit beidem zurück, und obwohl es bis zu diesem Zeitpunkt ein echtes Bravourstück zu sein schien, erwies sich auch das als böser Irrtum.
    Um zehn Uhr verkündete General Said, es sei an der Zeit, die Sache in Angriff zu nehmen: Eshkol solle aufs Dach gebracht werden, wo seine Männer ihn an einen schweren Betonbrocken fesseln würden. Als wir hinausgingen, stellten wir fest, dass sich – wie es auf diesem Berg anscheinend häufiger vorkam – eine Dunstschicht wie ein hübscher Kranz um das Resort gelegt hatte; der gestirnte Nachthimmel darüber war durch den gewaltigen weißen Lichthof immer noch sehr gut zu sehen. Am Fuße des Gebäudes hatte sich die riesige Menschenmenge versammelt, die General Said herbefohlen hatte. Obwohl das Gelände von bewaffneten Soldaten umstellt war, schienen die Zuschauer keine Ermunterung zu brauchen, um auf so blutrünstige Weise zu jubeln und zu schreien, dass mir das Blut in den Adern gefror.
    Gerade als fünf von Saids Männern Eshkol an seinen prometheischen Betonbrocken binden wollten, schwebte ganz in der Nähe etwas von unten über den Rand des Daches empor, was ich am liebsten nie wieder gesehen hätte und auch nicht wieder zu sehen erwartet hatte: eine der amerikanischen Überwachungsdrohnen, unsere Begleiter aus der Stratosphäre, und sie war natürlich nicht allein. Innerhalb von Sekunden war das ganze Dach von den Dingern umringt. General Said fragte Colonel Slayton in äußerst erregtem Ton, was das sei, obwohl er dabei mehrfach unterbrochen wurde, weil er seinen gründlich eingeschüchterten Soldaten immer wieder befehlen musste, sich zu beruhigen

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