Die Teufelssonate
farbenfrohen Anblick gaben. In der Mitte lief Valdin, der offenbar nicht gefilmt werden wollte, denn er hielt sich eine Zeitung vors Gesicht und stieg schnell in ein Taxi. Als das Auto außer Sichtweite war, gingen die Lampen aus und der Trupp fächerte auseinander. Der Kameramann und ein Reporter stiegen aufgeregt redend in einen schwarzen Kleinbus, der in der Nähe geparkt war.
Da sah er sie herauskommen.
Er wollte ihren Namen rufen, hielt sich aber zurück. Sie schien es eilig zu haben, und er mußte seinen Schritt beschleunigen, um sie einzuholen. Als sie in eine Gasse einbog, war er außer Atem.
»Senna!«
Sie schaute sich nicht um. Er hatte sich ihr nun bis auf ein paar Meter genähert.
»Vivien«, versuchte er. Sie drehte sich um und sah ihn mit leerem Blick an.
»Erkennst du mich nicht?«
»Natürlich. Sie sind Notovich, wir sind uns gestern abend begegnet.«
»Ach komm schon … halt mich nicht zum Narren«, sagte er, während er sie an den Schultern packte.
»Ich … lassen Sie mich bitte los!«
»Du bist Senna, ich bin doch nicht blind? Sag, daß du Senna bist.«
»Alles in Ordnung, junge Frau?«
Zwei Bauarbeiter legten ihre Werkzeuge ab und stiegen aus der Grube, in der sie arbeiteten. Sie kamen langsam heran.
»Ich, äh … weiß nicht, wer Senna ist. Lassen Sie mich bitte los.«
»Klingt nicht wie eine Einladung zu einer Partie Strippoker«, meinte der jüngere Bauarbeiter, während er seine Selbstgedrehte wegwarf. »Loslassen, Freundchen.« Notovich schaute die Frau flehend an.
»Ich dachte, du bist tot. Die Polizei hat mich sogar verhört. Ich … Es war schrecklich. Mein Leben ist die Hölle ohne dich. Treib bitte keine Spielchen mit mir.«
»Ich bin nicht Senna«, sagte die Frau, sorgfältig artikulierend, als spräche sie mit einem Schwerhörigen. »Lassen Sie mich jetzt gehen.«
Notovich wollte ihr nachlaufen, doch die Bauarbeiter hinderten ihn daran.
»Es hat keinen Sinn, Junge«, sagte der ältere der beiden nun auffallend sanftmütig. »Nein ist nein. Geh nach Hause und trink einen Schnaps. Du siehst aus, als ob du einen brauchen kannst.«
Aber als Notovich in einem unbewachten Augenblick doch versuchte, an ihnen vorbeizuschlüpfen, schlug ihn der jüngere nieder. Am Boden liegend, durch einen Schleier von Schmerz und Blut, sah er sie um die Ecke laufen.
11
E r war auf einmal wieder in Paris, an jenem Morgen nach seiner ersten Nacht mit Senna. Die Stadt war noch nicht ganz wach. Er sah Senna in dem nebligen Licht verschwinden, das über den Straßen hing. Er blieb auf der anderen Seite stehen und fragte sich, ob er ihr nachlaufen solle oder nicht. Sie hatte ihm nie erzählt, wo sie wohnte. Was für Poster hingen bei ihr an der Wand? Welche Bücher standen im Regal? Was für Pflanzen auf dem Fensterbrett? Ihm wurde bewußt, daß gerade solche kleinen Dinge viel über einen Menschen verraten.
Es mußte einen Grund haben, warum sie so verschlossen war. Vielleicht hatte er sie mit seinem freimütigen Bekenntnis abgeschreckt, und sie war jetzt vor ihm auf der Flucht. Er beschloß, ihr nur zu folgen, bis er wüßte, wo sie wohnte oder arbeitete, dann würde er wieder nach Hause gehen. Er würde sie nicht belästigen, denn es hatte natürlich keinen Sinn, jemanden zur Liebe zu zwingen.
Er folgte ihr, während sie über Boulevards schlenderte, auf Bänken saß und durch Läden bummelte. Sie bewegte sich zwar in der Menge, ging aber nie darin auf. Umgekehrt schien niemand sie zu bemerken. Niemand fragte sie nach dem Weg, kein einziger Mann drehte sich um, wenn sie vorbeilief, oder pfiff ihr hinterher. Es war, als ob die Menschen spürten, daß sie nicht wirklich zu dieser Welt gehörte.
Doch plötzlich wurde sie mitten auf der Straße von einem Mann angesprochen, der mehr als freundschaftlich den Arm um sie legte, während seine andere Hand zu ihrem Hintern glitt. Diese selbstverständliche Intimität schockierte Notovich. Es war der Mann, den er in jener Nacht im Regen mit ihr gesehen hatte, als sie mit dem Krankenwagen abtransportiert wurde.
Es entbrannte eine kurze, heftige Diskussion, dann ging er. Notovich schaute ihm etwas zu lange nach, wodurch er Senna beinahe aus den Augen verloren hätte. Er mußte ihr hinterhereilen.
Nach einer Weile beschleunigte Senna ihren Schritt. Wohnte sie in dieser Gegend? Sie waren in einen Teil von Paris geraten, wo Notovich noch nie gewesen war. Er konnte nicht sagen, ob sie im Osten oder Westen der Stadt gelandet waren. Nach ein paar
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