Die Tortenbäckerin
ihr euch für immer und ewig lieb?«
Darauf fiel Greta keine glaubhafte Antwort ein, und sie war heilfroh, dass Oliver in die Küche gestürmt kam und nach Leni suchte.
Der Tag begann regnerisch und kalt. »Aprilwetter«, knurrte Lotte Kröger, als sie einen Blick zum Fenster warf. Dort rann der Regen beinahe dickflüssig an den Scheiben hinunter und hinterlieà eine Spur aus nassem Ruà und Dreck. Lotte Kröger wollte im Bett bleiben. Die Wohnung war kalt, und sie hatte keine Kohle mehr zum Verheizen. Da war es unter den Decken noch am wärmsten. Sie schloss die Augen und hoffte, wieder einschlafen zu können. Es war der Durst, der sie schlieÃlich aus dem Bett trieb, dieser ganz bestimmte Durst, der sie überfiel, wenn sie am Abend vorher ein paar Schnäpse zu viel getrunken hatte. Mühsam stand sie auf und schleppte sich zum Waschkrug. Sorgfältig vermied sie einen Blick in den zersprungenen Spiegel. Lotte Kröger wusste, wie sie aussah. Alt, ungepflegt, abstoÃend. Dazu brauchte sie keinen verfluchten Spiegel.
Sie stieà ein Seufzen aus, das eher nach einem Knurren klang.
Eine Zeitlang hatte es danach ausgesehen, als könnte sich ihr Leben noch zum Guten wenden. Das war, als ihr das Kind anvertraut worden war. Ein festes Einkommen sollte sie bekommen, wenn sie die blinde Deern aufzog. Ein gutes Einkommen. Und Lotte hatte sich angestrengt. Niemand durfte es wagen, das Gegenteil zu behaupten. Sie hatte sich wirklich Mühe gegeben. Ziemlich lange sogar.Nur in der letzten Zeit war ihr die Sache dann aus der Hand geglitten. Das hatte damit angefangen, dass Hans neue Freunde gefunden hatte. Die kamen zu Besuch und brachten billigen Schnaps mit. Sie lachten Lotte aus, wenn sie nicht mittrinken wollte, nannten sie »unsere heilige Jungfrau« oder fragten sie, ob sie jetzt zur Heilsarmee gehörte.
So etwas konnte Lotte nicht auf sich sitzen lassen. Früher einmal war sie stolz darauf gewesen, was sie alles vertragen konnte. Da hatte sie in der Kneipe ihres Vaters die Männer unter den Tisch getrunken. Bis Hans kam, einen ordentlichen Eindruck machte und sie vom Fleck weg heiratete.
Lotte hatte ihren Hans geliebt. Und wie! Sie liebte ihn, als er die gute Arbeit bei den Hansens in Harvestehude hatte, sie liebte ihn, als er die Stellung verlor und sich als Schauermann verdingen musste. Sie liebte ihn auch noch, als er gar keine Arbeit mehr fand und immer mehr dem Alkohol zusprach. Ob sie ihn jetzt auch noch liebte, wusste Lotte nicht. Nun, da das Kind fort war und mit ihm ihr Einkommen, nun verschwamm alles in einem grauen Nebel aus Schnaps â auch ihre Gefühle.
Das Kind! Für einen Moment tauchte Lotte aus dem Nebel auf. Seit wann war das Kind weg? Ihre Hand, die nach dem Emaillekrug greifen wollte, erstarrte mitten in der Bewegung. Nur das Zittern in den Fingern wollte nicht aufhören. Leni. Es war ein eiskalter Wintertag gewesen, als Lotte heimgekommen war und das Gör nicht mehr gefunden hatte. Jetzt war der Frühling da, obwohl es immer noch nicht warm werden wollte. Das Zittern erfasste ihren ganzen Körper, und Lotte erinnerte sich. Sie hatte Hansangeschrien, war mit dem Nudelholz auf ihn losgegangen, hatte ihn beschimpft.
Aber ihr Mann war ganz ruhig geblieben. »Nein«, hatte er fest gesagt. »Ich habe nichts damit zu tun.«
»Du hast sie verkauft!«, hatte Lotte gekreischt, aber sie hatte schon gespürt, dass er die Wahrheit sagte. Wenn Hans ein schlechtes Gewissen hatte, dann konnte er ihr nicht in die Augen gucken, aber an jenem Tag hatte er sie die ganze Zeit angestarrt.
»Vielleicht ist sie weggelaufen.«
»Ein blindes Kind? Wie soll das gehen?«
Hans hatte mit den Schultern gezuckt. »Was weià ich. Oder es war dieser Bengel, der mal mit diesem Freesen hier war. Der war doch ganz vernarrt in die Lütte.«
Nein, hatte Lotte gedacht. Unmöglich. Dann schon eher dieser Kutscher, der anscheinend gern vor Greta den Helden spielte. Ja, so musste es sein. Der Mann hatte die Leni entführt und sie zu Greta zurückgebracht. Eine Zeitlang hatte Lotte vorgehabt, nach Altona zu fahren und Greta zur Rede zu stellen. Wie sie dazu käme, ihr das Kind wegzunehmen, um das sie sich so liebevoll gekümmert hatte? Wovon sollten Lotte und Hans denn jetzt leben? Aber ein Rest Vernunft hielt sie von dieser Fahrt ab. Ein Rest Anstand sagte ihr, dass es Leni gar nicht gut bei ihr gehabt hatte. Und
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