Die tote Schwester - Kriminalroman
Übungen, setzte sich auf die Couch. Einige Minuten lang starrte er den schwarzen Fernsehbildschirm an.
Lena war fort. In Gefahr.
Die Ermittlungskommission tat ihre Arbeit.
Es gab nichts, was er selbst tun konnte, außer sich durch Telefonate noch mehr Sorgen um sie zu machen.
Gar nichts.
6
Langsam kam sie wieder zu Bewusstsein.
Ihre Hände waren ohne Gefühl. Sie konzentrierte sich auf die Finger, spürte eine Schwere in ihnen. Sie wollte die Fingerspitzen bewegen, doch sie gehorchten ihr nicht.
Panik erfasste Lena.
Die Beine. Die Füße. Auch sie waren irgendwie vorhanden, ließen sich aber nicht bewegen.
Lena öffnete vorsichtig die Augen. Um sie herum war es fast dunkel. Von rechts schien ein schmaler Lichtschein zu kommen, der den Raum um sie herum in ein diffuses Grau hüllte.
Waren ihre Augen in der Lage, richtig zu sehen? Oder lag ein Schleier vor ihnen? War das, was sie sah, gar nicht der wirkliche Raum?
Sie musste sich konzentrieren. Sie musste rekonstruieren, was passiert war. Sie musste überlegen, wie sie hier herauskam.
Lena hob den Kopf ein wenig. Sie sah, dass sie auf einer Art Platte lag. Eine erhöhte Platte im Raum. Der Untergrund unter ihrem Körper fühlte sich hart an.
Ihre Hände waren gefesselt. Im diffusen Licht konnte sie erkennen, dass ein Seil um ihre Armgelenke geführt war. Die Beine, die sich irgendwo unscharf in der Ferne befanden, waren an der Platte festgebunden.
Es gelang Lena, ein Bein leicht anzuheben, bis die Fesseln es nicht weiter erlaubten. Die Bewegung ging von ihrem Becken aus, den Fuß konnte sie immer noch nicht bewegen.
Die Finger begannen zu zucken. Ergebnis ihrer ständigen Anstrengungen, Bewegung in sie hineinzubekommen. Ein kleines Zucken, das immer größer wurde.
Es bestand eine Chance.
Lena konzentrierte sich nur noch auf ihre Hände. Jetzt. Der Zeigefinger bewegte sich leicht auf und ab, gehorchte präzise dem Willen ihres Gehirns.
Vergingen fünf Minuten oder dauerte es eine halbe Stunde, bis sie ihre Finger wieder voll bewegen konnte? Sie konnte die Zeit nicht abschätzen. Immerhin kam auch in die Füße ein Gefühl zurück. Jetzt wurden die Fesseln zum Hindernis. Sie ließen ihr bloß minimalen Spielraum, es war ihr nicht möglich, die Körperlage zu verändern.
Was war passiert?
Sie hatten sie entführt, daran erinnerte sie sich. Einfach so, am Flughafen, ins Auto gezerrt. Und dann hatte sie ihr Bewusstsein verloren. Wie lange? Sie wusste es nicht.
Lena lag einige Zeit da, bewegte dabei immer wieder leicht ihre Gliedmaßen. Sie dachte nach, über New York, über Zbigniew, über ihr Leben. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf, wie kurze Blitze.
Es konnte alles nicht sein.
Es war alles ungerecht.
Lena begann zu weinen.
Und dann hörte sie Schritte. Ein gedämpftes Klack-Klack, das lauter wurde.
Eine Tür öffnete sich. Sie war direkt zu ihren Füßen, am Ende der Platte. Ein wenig Licht kam aus der Türöffnung, eine Person trat in den Raum. Sie stellte sich neben Lena und schaltete das Licht ein.
Grelles Neonlicht fiel auf Lenas Gesicht, schmerzte ihr in den Augen. Sie hob ihren Kopf, blinzelte.
Vor ihr stand eine dunkelhaarige, elegant gekleidete Frau. Sie lächelte Lena an.
»Fühlt es sich gut an?«, fragte sie.
Lena begriff nicht.
Die Frau.
Sie hatte sie schon einmal gesehen.
»Du kannst gar nichts dafür«, sagte die Frau. »Du musst dich nicht grämen. Es ist alles nur, weil dein Freund uns in die Quere gekommen ist.«
In einem blitzartigen Moment der Erkenntnis wurde alles klar. Jeanne Duhamel, es war Jeanne Duhamel, die hier vor ihr stand. Die Frau, der Zbigniew so stark zugesetzt hatte. Deren gesamtes Leben er zerstört hatte.
Lena versuchte zurückzuweichen. Die Fesseln ließen ihr nur Zentimeter.
Plötzlich hielt die Frau ein Messer in der Hand.
»Was … «, begann Lena zu fragen, doch ihre Zunge gehorchte nicht richtig. Was haben Sie vor, wollte sie sagen. Jeanne Duhamel hatte es bereits verstanden. Sie lächelte bloß, beugte sich ein wenig zu ihr herunter, nahm Lenas rechte Fußspitze in die Hand.
Lena begriff.
Nein.
Jeanne Duhamel setzte das Messer etwas oberhalb ihres kleinen Zehs an. Fast lag ein Bedauern in ihrem Blick.
Lena schrie.
Sie schrie, so laut sie konnte.
Jeanne drückte das Messer nieder.
Ein unglaublicher Schmerz erfasste Lena.
Sie sah, wie ihr kleiner Zeh abgefallen war.
Sie sah, wie ihr Fuß blutete.
Sie sah Jeanne, die sie etwas mitleidig anblickte, mit den Schultern
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