Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Brueggenthies
Vom Netzwerk:
hatte wohl ein ums andere Mal seine schützenden Hände nicht nur über die Weissbergs gelegt. Und 1939 bekam Anna Weissberg ihr Kind, einen Jungen namens Heinrich.
    »Heinrich?«, hatte Zbigniew fassungslos gefragt.
    »Ja, Heinrich«, war sich Mendelstein sicher.
    »Hatte das Paar noch einen weiteren Sohn?«
    »Nein.«
    »Ich habe ihn in New York kennengelernt. Er hieß Samuel Weissberg. 1939 geboren.«
    Mendelstein überlegte kurz, dann fuhr er sich mit seinen Händen durch die Haarmähne und nickte.
    »Wissen Sie, wenn man 1939 in einer ›Mischehe‹ überleben wollte, dann musste man ein Kind unter völligem Verzicht auf alles Jüdische großziehen. Wenn man das tat, wurde aus einer Ehe wie der der Weissbergs eine sogenannte ›privilegierte Mischehe‹, so nannten die Nazis das, und damit ließen sie einen weitgehend in Ruhe. – Ich könnte mir vorstellen, dass der Junge sich dann später in den USA auf seine jüdischen Wurzeln besonnen und den Vornamen geändert hat. Immerhin fanden die Namensgebung und der Religionsverzicht im Dritten Reich unter Zwang statt. Sie sollten Samuel Weissberg danach fragen.«
    Zbigniew musste Samuel Weissberg nach einigen Dingen fragen.
    Er hatte seinen Vornamen geändert.
    Oder war er doch jemand anders, gab es einen Bruder?
    Unsicherheit hatte Zbigniew ergriffen.
    Passierte etwas, das Zbigniew überhaupt nicht verstand, etwas völlig anderes? Hatte er sich so festgerannt, dass er etwas Entscheidendes übersehen hatte?
    Und noch etwas hatte sich in diesem Moment in seinem Hirn eingenistet, irgendwo ganz weit hinten, ohne dass er es richtig bemerkte. Würde es ihm selbst auch möglich sein, seinen Vornamen zu ändern, diesen polnischen Zungenbrecher, mit dem seine Mutter ihm so viele Probleme in seiner Jugend eingehandelt hatte?
    Doch Mendelstein hatte bereits weitergesprochen, sodass dieser Gedanke schnell wieder aus Zbigniews Bewusstsein rutschte. Der Archivar im EL - DE -Haus hatte die Geschichte von Gideon Weissberg weitererzählt. Nach der Geburt des Sohnes hatten Anna und Gideon ernsthaft darüber nachgedacht, ins Ausland zu gehen, doch sie zögerten zu lange – die aufnehmenden Staaten, die USA , die Schweiz, andere Länder hatten schon längst ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge geschlossen. Als 1941 in Deutschland ein Emigrationsverbot in Kraft trat und die Massendeportationen der Juden in die Konzentrationslager begannen, glaubten viele Juden immer noch nicht an das, was hier vor sich ging. Oder sie wollten es nicht wahrhaben, es war bar jeder Vorstellungskraft.
    Weissberg war zwar durch seine Ehe weiterhin einigermaßen geschützt, aber er hatte begriffen, dass dies kein Dauerzustand unter der immer wahnsinniger und brutaler agierenden Reichsführung sein würde. Schließlich täuschte Gideon Weissberg seine Flucht nach Westen vor. In Wirklichkeit blieb er im Kölner Untergrund, wie einige Zeitzeugen später berichteten – darunter die ebenfalls abgetauchte jüdische Schauspielerin Friedl Münzer, die auch nach dem Krieg in Deutschland als gefeierte Schauspielerin weiterarbeitete.
    »Was bedeutet das konkret, in den Untergrund?«, hatte Zbigniew gefragt.
    Mendelstein wusste es im Fall von Gideon Weissberg nicht genau. Es konnte bedeuten, dass er von jemand anderem versteckt wurde. Aber es gab auch verfolgte jüdische Bürger, die sich allein irgendwo durchschlugen, in versiegelten Wohnungen, in irgendwelchen alten Kanälen, Tunneln, Tiefkellern unter der Stadt – soweit sie nach den verheerenden Bombenangriffen auf Köln noch existierten. Menschen, die irgendwelche Wege gefunden hatten, von den ohnehin in diesen Jahren äußerst knappen Nahrungsmitteln etwas abzubekommen. Und – was noch entscheidend hinzukam – die nicht auffielen und nicht denunziert wurden.
    »Dennoch, und damit endet leider die Geschichte«, hatte Julius Mendelstein gesagt, »haben er und seine Frau dann gemeinsam die Flucht angetreten, ich glaube 1943. Allerdings sind sie nicht weit gekommen … bis in die Eifel. Es ist eine wirklich tragische Geschichte. Denn dort sind die Weissbergs in einem kleinen Dorf erschossen worden. Soweit ich weiß, haben sie nach dem Krieg ein hübsches Grab bekommen und alle im Dorf sind nun beruhigt.«
    Zbigniew erinnerte sich, dass Samuel Weissberg ihm vom Tod seiner Eltern erzählt hatte. Er begriff nicht, warum Mendelstein nun einen etwas zynischen Ton angeschlagen hatte. Die Erklärung folgte postwendend.
    »Sie müssen wissen, dass das Paar nicht

Weitere Kostenlose Bücher