Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)
Kapelle, um den Schaden zu begutachten. Das war die vierte zerbrochene Scheibe in drei Wochen. Das Mondlicht tanzte in den Splittern. Cadorette ging zum Pfarrhaus. Der Weg zu seinem Zimmer kam ihm sehr lang vor. Er kniete vor dem Bild der Heiligen Jungfrau nieder. Doch nach einigen Murmeleien bemerkte er, dass sein Gebet nicht sehr hoch aufstieg, seine Gedanken waren immer noch bei Remouald. Warum zum Teufel hatte er ihm diese verdammte Geschichte erzählt?
»Das nächste Mal bestehe ich darauf, dass er beichtet«, nahm er sich vor, als er unter die Bettdecke schlüpfte.
Er ahnte nicht im Entferntesten, dass Remouald sich bei ihrer nächsten Begegnung kaum an seinen eigenen Namen würde erinnern können.
* * *
Am Ende hatte Séraphon alle Hebel in Bewegung gesetzt. Das Loch des alten Kamins war mit Teerpappe vernagelt, die unter Dachschindeln verborgen lag. Es dauerte nicht lange, bis Séraphon die Stelle wiedergefunden hatte, und mit einem Taschenmesser schlitzte er die Pappe auf, so dass er in den kommenden Wochen alles sehen konnte, was sich in der Hütte seines Lehrlings abspielte, ohne selbst gesehen zu werden, wenngleich er vor dem Strafrichter Stein und Bein schwor, nichts davon gewusst zu haben und im Übrigen am Abend der Unbefleckten Empfängnis gar nicht zu Hause gewesen zu sein ...
Er war tatsächlich an jenem Abend unterwegs gewesen, um bei seinen widerspenstigen Mietern die Miete einzutreiben. Zwanzig Personen hatten ihn gesehen und mit ihm gesprochen, sein Alibi war hieb- und stichfest. Anschließend hatte er sich wie ein zitterndes, verstörtes Kaninchen zur Tochter seines Großonkels geflüchtet, Gott hab ihn selig. Dort erfuhr er am nächsten Tag, dem 9. Dezember, dass jemand die Holzhandlung angezündet hatte. Es hieß, die Flüche des Brandstifters seien bis zur Kirche zu hören gewesen. Er hatte gebrüllt, er würde diesen verwünschten Ort dem Erdboden gleich machen. Balken stürzten ein, er starb in den Flammen. Die Leiche wurde identifiziert. Es war Joachim Bilboquain, Remoualds Vater.
Über Remouald selbst hieß es, er verstehe die einfachsten Dinge nicht mehr, sein Geist sei dahingerafft. Die Familie Costade war so barmherzig, ihn aufzunehmen, später dann wurde er im Internat für Waisenkinder in Saint-Aldor untergebracht.
Wilson legte beim Geistlichen der Strafanstalt, der niemand anderes als Pfarrer Cadorette war, ein vollständiges Geständnis ab. Er erzählte alles ohne jegliche Rührung, mit der Nüchternheit eines Gerichtsmediziners. Trotz der Beharrlichkeit des Priesters verweigerte der Lehrling religiösen Beistand. Ein Büßergewand aber wollte er tragen. Woraufhin er nur noch einen Satz gesagt hatte.
»Die Stimme, ich kann sie nicht mehr hören …«
Er hatte ihn an den Gefängniswärter gerichtet, der ihm das Gewand brachte. Er erhängte sich mit dem Gürtel. Mit dem Nagel seines Ringfingers hatte er das Wort »Hölle« in die Zellenwand geritzt.
Ein paar Tage nach den dramatischen Ereignissen ging Séraphon durch die übel riechenden Ruinen, ratlos, mit Tränenin den Augen und vor Selbstmitleid zusammengeschnürtem Herzen. Sein Fuß stieß an einen Gegenstand. Er bückte sich, schaute und meinte, er müsse in Ohnmacht fallen. Das Ding schien ihm so kostbar, so wundersam, dass er nicht wagte, es zu berühren. Wieder daheim versteckte er es in aller Schnelle in einem Wandschrank. Fieber fesselte ihn drei Tage ans Bett. Er verwechselte Schlafen und Wachen, schrak schreiend aus dem Schlaf hoch. Er hatte das Gefühl, dass Wölfe durch sein Schlafzimmer strichen, Wölfe oder Ratten, die sich auf ihn stürzen, ihn zerreißen und verschlingen würden.
Eines Morgens schließlich beschloss er, dass es an der Zeit war, wieder neu anzufangen zu leben. Mit einer Natürlichkeit, die ihn überraschte und begeisterte, entledigte sich sein Geist der Erinnerung der letzten Monate, und er hatte wieder ganz wie gewohnt festen Stand in seinen Stiefeln und Freude am Leben. Es war Weihnachten, ihm blieb noch ein ganzer Schuppen Holz; der Brand war ein guter Vorwand, um die Preise anzuheben ...
»Ich muss sagen«, verkündete er einem Mädchen, das unter seinem Fenster Himmel und Hölle spielte, »das Leben hat nicht nur schlechte Seiten!«
In den nächsten zwanzig Jahren würde er es nicht mehr wagen, den Wandschrank aufzuschließen.
* * *
Célia war damals eine junge Frau, die mit ihren sechsundzwanzig Jahren gerade wie sechzehn aussah. Wenn die Leute sie mit Remouald zusammen sahen,
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