Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)
Hauptente Donald.
Bernard steuerte den Wagen auf eine Brücke, die über einen glitzernden Fluss führte. Auf der linken Seite sah ich alte Häuser, die sich steil aus dem Uferfels erhoben, ein Kirchturm streckte sich mit seinem kupfergrünen Dach über die anderen Gebäude der Altstadt. Ein Stück dahinter überspannte eine weitere Brücke den Fluss. Sie sah anders aus als alle Brücken, die ich bisher gesehen hatte: Sie schien ganz aus Holz zu sein und war komplett überdacht. Während ich noch staunte, waren wir auch schon auf der anderen Seite, Bernard bog noch zwei Mal links ab und parkte den BMW vor einem großen Haus.
»Knotenpunkt Olten, Endstation Hüblistraße. Bitte alles aussteigen«, rief er gewollt fröhlich, was Claire zu einem entnervten Blick veranlasste.
Ich war neugierig. Was blieb mir auch anderes übrig? Ich hatte ein neues Zuhause, eine neue Besitzerin, eine neue Aufgabe. Aber Laura blieb sitzen, die Nase im Comic.
»Laura! Willst du nicht aussteigen?«
»Keine Lust.«
»Komm schon, wir wollen auspacken.«
»Dann macht doch.«
Claire verdrehte die Augen, und ich fand, dass Laura mir ruhig einmal das Haus zeigen könnte. Irgendwann raffte sie sich auf, griff ihren Comic und stieg aus. Ohne mich. Ich blieb auf dem dunkelblauen Sitz liegen. Die Sonne briet mir auf den Pelz. Nach einer halben Stunde, als alles ausgeladen und ins Haus getragen war, steckte Claire noch einmal den Kopf in den Fond des Wagens.
»Sie macht mich wahnsinnig. Alles muss man ihr hinterherräumen«, murmelte sie und sammelte mich, zwei alte Bonbonpapiere und eine Bananenschale ein.
Ich zog in ein großes Mansardenzimmer. Als Claire mich hereinbrachte, traf mich fast der Schlag. Der Raum quoll über von Spielsachen. So viel Spielzeug hatte ich noch nie gesehen.
»Du hast deinen Bären im Auto vergessen.«
»Mir doch egal.«
»Und deinen Müll, mein Fräulein«, sagte Claire und ließ mich und den Müll auf den blauen Teppich fallen. So weit war ich gesunken. Ich und der Müll. Ich holte tief Luft und versuchte, nicht entmutigt zu sein.
Laura wandte ihrer Mutter den Rücken zu. Sie saß auf dem Boden und spielte mit einer Puppe. So eine Puppe hatte ich noch nie gesehen. Annabelle hatte ausgesehen wie ein kleines Kind, doch dieses Exemplar sah aus wie eine erwachsene Frau. Sie hatte spitze Brüste und bemalte Lippen und erinnerte mich an eine dieser jungen Amerikanerinnen, die goldbehängt und Täschchen schwingend das Leben der Simonis erschwert hatten, weil ihre Sonderwünsche nie ein Ende nahmen.
Als ich genauer hinsah, entdeckte ich, dass sie nicht nur eine dieser Puppen hatte, sondern gleich vier. Eine davon war dunkelbraun, während die anderen eher quietschrosa aussahen. Hingebungsvoll kämmte Laura das blonde Puppenhaar, zog ein glitzerndes Kleid über den unbiegsamen Körper und wiederholte dann die Prozedur bei den anderen drei Plastikdamen. Mich würdigte sie keines Blickes.
Ich sah ihr fasziniert zu, und gleichzeitig überkam mich die Erkenntnis, dass ich all diesen Spielsachen, die sich hier stapelten, nichts entgegenzusetzen hatte. Sie waren bunt und modern, die Stofftiere sahen weich und anschmiegsam aus – dieses Zimmer war ein Paradies für jedes Kind. Hier konnte tagelang gespielt werden, ohne dass auch nur ein Gegenstand zwei Mal benutzt wurde. Viele Sachen waren mir völlig fremd. Da gab es kleine blaue Männchen mit weißen Zipfelmützen, alle unterschiedlich geformt – der eine hatte einen Blumenstrauß, der andere eine Hacke, der dritte eine Bratpfanne in der Hand. Es gab Bausteine in allen Farben, die man aufeinanderstecken konnte. Pferde und Autos, die zu den Puppen passten, und viele Schachteln mit bunter Schrift darauf. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
»Mama!«, rief Laura plötzlich und ließ die winzige Haarbürste fallen. »Mama!«
Nichts rührte sich.
»Ma-ma!«, schrie sie jetzt nachdrücklicher.
Claire steckte den Kopf zur Tür herein.
»Was ist denn?«
»Mir ist langweilig!«
Was? Ihr war langweilig ?
Laura war entschlossen, ihre Mutter auf die Palme zu treiben.
»Kann ich ein Eis haben?«
»Nein. Du hast die ganze Fahrt über nur Süßigkeiten gegessen. Was ist denn los mit dir? Eine Woche lang hast du genörgelt, weil du unbedingt nach Hause wolltest, und jetzt sind wir wieder da und Madame ist immer noch unzufrieden. Warum rufst du nicht bei Sandra an?«
»Die ist noch in Ferien.«
»Und Janine?«
»Auch.«
»Bitte, Laura. Ich habe so viel zu
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