Die Vergessene Welt
tun
haben. Die Vermutung, daß etwas Derartiges auf dem Plateau
vorkommen könnte, habe ich ja schon geäußert.«
»Wir dürfen nicht vergessen«, sagte Summerlee, »daß es
noch viele vorgeschichtliche Arten gibt, die uns nicht
überliefert sind. Es wäre daher voreilig, zu vermuten, daß wir
für alles, was uns hier begegnen könnte, einen Namen parat
haben.«
»Genau so ist es. Eine oberflächliche Einordnung ist das
Äußerste, was wie versuchen können. Morgen finden wir
vielleicht noch weitere Anhaltspunkte, die uns einer
Identifizierung näherbringen. Inzwischen wollen wir unseren
unterbrochenen Schlaf fortsetzen.«
»Nicht ohne Wachtposten«, sagte Lord John mit
Entschiedenheit. »Wir können uns hier keine Unvorsichtigkeit
mehr leisten. In Zukunft also Zweistundenwachen für jeden
von uns!«
»Dann werde ich gleich die erste übernehmen und dabei
meine Pfeife zu Ende rauchen«, sagte Professor Summerlee.
Von da ab wagten wir nicht mehr, ohne Wache zu
schlafen.
§
Am Morgen brauchten wir nach der Ursache des
entsetzlichen Tumults, der uns in der Nacht aufgeschreckt
hatte, nicht lange zu suchen. Die Iguanodon-Lichtung war zum
Schauplatz eines schrecklichen Gemetzels geworden. Beim
Anblick der Blutlachen und der riesigen Fleischklumpen, die in
allen Richtungen über die niedergewalzte Grasfläche verstreut
lagen, glaubten wir zuerst, daß eine ganze Reihe von Tieren
abgeschlachtet worden sei. Aber bei näherer Untersuchung der
Überreste entdeckten wir, daß alles von einem einzigen dieser
plumpen Riesentiere stammte, das von einer Kreatur in Stücke
gerissen worden war, die es vielleicht nicht an Größe, gewiß
aber an Kraft übertraf.
Unsere beiden Professoren diskutierten und untersuchten
währenddessen einen Fleischfetzen nach dem anderen. Daß hier
Reißzähne und mächtige Klauen am Werk gewesen waren,
stand außer Zweifel.
»Wir dürfen uns noch nicht endgültig festlegen«, sagte
Professor Challenger irgendwann. »Alles scheint dafür zu
sprechen, daß hier ein Säbelzahntiger, wie wir sie aus
Höhlenzeichnungen kennen, seine Beute gerissen hat, aber die
Kreatur, die wir gesehen haben, war größer und eindeutig ein
Reptil. Ich persönlich tendiere eher zu der Ansicht, daß es ein
Allosaurus gewesen ist.«
»Oder ein Megalosaurus«, meinte Professor Summerlee.
»Richtig. Auf alle Fälle handelt es sich um einen
Raubsaurier, einen Vertreter dieser scheußlichsten Gattung
tierischen Lebens, die ein Fluch für die Erde und ein Segen für
die Naturhistorischen Museen gewesen sind.«
Er lachte schallend über seine letzte Bemerkung. Wie fast
alle Menschen, die wenig Humor haben, fand er seine
krampfthaften Witzchen geradezu köstlich.
»Bitte, etwas weniger lautstark«, mahnte Lord John sofort.
»Wir wissen nicht, was uns in der nächsten halben Stunde
blüht. Wenn dieses Prachtexemplar von einem Saurier
zurückkommt und frühstücken will, wird uns das Lachen
vergehen. Was bedeutet übrigens dieses Zeichen am Hals des
Iguanodons?«
Auf der schuppigen, schieferfarbenen Haut etwas oberhalb
der Schulter war ein sonderbarer kreisrunder Fleck aus einer
Substanz, die wie Asphalt aussah. Keiner von uns konnte sich
vorstellen, was er zu bedeuten hatte. Summerlee allerdings
meinte, vor zwei Tagen etwas Ähnliches an einem der
Jungtiere bemerkt zu haben. Challenger äußerte sich nicht
dazu, schaute aber so bedeutungsvoll und wichtig drein, als ob
er es wüßte. Lord John fragte ihn schließlich nach seiner
Meinung.
»Wenn Eure Lordschaft mir gnädigst erlauben, wieder den
Mund aufzumachen, muß ich meiner Dankbarkeit Ausdruck
verleihen«, sagte er mit ausgesuchtem Sarkasmus. »Ich bin
leider nicht gewöhnt, herumkommandiert zu werden, wie Sie
das zu tun pflegen. Ich wußte nicht, daß man Sie erst um
Erlaubnis fragen muß, bevor man über einen harmlosen
Scherz lacht.«
Unser empfindlicher Freund war nicht zu besänftigen, bis er
formell um Entschuldigung gebeten wurde. Als sich endlich
seine Gefühle wieder beruhigt hatten, hielt er uns einen
längeren Vortrag. Wie es seine Gewohnheit war, sprach er, als
hätte er ein Auditorium von mindestens tausend Studenten vor
sich, denen er kostbarstes Wissen vermittelte.
»Was diese Markierung betrifft«, sagte er, »so bin ich
geneigt, meinem Freund und Kollegen, Professor Summerlee,
darin zuzustimmen, daß die Flecken von Asphalt herrühren. Da
dieses Plateau nach seiner ganzen Herkunft
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