Die Verschworenen
durch meine Jacke dringen, den Stoff meiner Hose durchbohren und mir die Handrücken aufschlitzen. Die Zweige der Hecke krachen und brechen unter meinem Gewicht. Ich höre mich aufschreien.
Schmerzen, überall. Blut sickert durch meine Finger auf mein Gesicht. Ich habe Angst, die Augen zu öffnen.
»Jetzt ist es leichter, nicht wahr?« Sandors Stimme dringt wie durch Watte zu mir. Ich schaffe es, mich über ihren sachlichen Ton zu wundern. Keine Spur von Spott. Aber Resignation. »Jetzt solltest du mich hassen können.«
Schritte, die sich entfernen und dabei immer schneller werden. Ich blinzle vorsichtig, versuche, wieder hochzukommen, stütze mich erneut auf Dornen ab.
Als ich mich so weit aufgerichtet habe, dass ich die Gegend überblicken kann, ist von Sandor nichts mehr zu sehen.
Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis ich mich aus den Ranken befreit habe. Am Ende nehme ich keine Rücksicht mehr darauf, ob Stoff reißt oder weiteres Blut fließt. Ich verschwende auch kaum einen Gedanken daran, dass ich entdeckt werden könnte. In gewisser Weise wäre mir das sogar recht, denke ich voll grimmigem Trotz, dann hätte ich es endlich überstanden.
Mit dem Gefühl, keine heile Stelle mehr am Körper zu haben, krieche ich zurück unter die Stadt.
Aureljo, Dantorian und Tycho sind fassungslos, als sie mich zu Gesicht bekommen. Ich erwähne Sandor und auch meine verbotenen Ausflüge mit keinem Wort, sondern gebe vor, in einem der dunklen Gänge in eine Stacheldrahtabsperrung hineingelaufen zu sein. Offenbar sind sie zu geschockt von meinem Anblick, um sich zu fragen, wieso dann der Großteil meiner Verletzungen die Rückseite meines Körpers betrifft.
Das ganze Ausmaß wird mir erst bewusst, als ich mich bis auf die Unterwäsche ausziehe. Man könnte meinen, ich hätte mit einem Raubtier gekämpft, und in gewisser Weise stimmt das wohl. Manche der Kratzer sind nur oberflächlich, andere richtig tief. Da und dort sind die Wundränder geschwollen und fühlen sich heiß an. Unwillkürlich denke ich an Vilem. Auch Verletzungen dieser Art können zu einer Sepsis führen.
»Ich laufe zu Quirin und bitte ihn um etwas zum Desinfizieren«, verkündet Tycho.
Ich nicke dankbar und schließe die Augen, während Aureljo beginnt, die Kratzer mit klarem Wasser zu reinigen.
Es ist gut, hier zu sein. Unter meinesgleichen. Wäre es nicht so traurig, könnte ich fast darüber lachen. Ich bin ein Prim und ich verhalte mich wie ein Prim .
Er wollte also, dass ich ihn hasse, ist ja interessant. Das hat nicht ganz geklappt, aber immerhin koche ich vor Wut. Jedes Mal wenn ich die Augen schließe, sehe ich ihn vor mir, wie er mich mit beiden Händen in die Hecke stößt.
Warum? Ich habe keine Zweifel mehr daran, dass Sandor noch genau das Gleiche für mich empfindet wie vor Vilems Tod. Es war so deutlich von seinen Zügen abzulesen, er hätte es genauso gut aussprechen können.
Aber was plötzlich zwischen uns steht, konnte er mir nicht sagen, da zog er es vor, mich zu verletzen, und das nicht zu knapp. Besser ein Sturz in die Dornen als die Wahrheit.
Was muss das für eine Wahrheit sein?
Ich merke, wie ich mich wieder auf vertrauten Boden zubewege. Logische Schlüsse ziehen, Parallelen finden, Muster aufspüren – all das habe ich in der Akademie trainiert, bis es mir in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Die Sphären erhalten eine Information und betrachten uns daraufhin als Verräter, die den gesamten Bund in Gefahr bringen könnten. Sie wollen uns töten, ohne Erklärung.
Sandor erfährt ein … nennen wir es Geheimnis; er wendet sich von mir ab, ohne Erklärung.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sandor und der Sphärenbund die gleiche Sache erfahren haben?
»Sehr hoch«, flüstere ich.
»Was sagst du?« Aureljo, der gerade eine Wunde an der Rückseite meines Oberarms abgetupft hat, hält inne.
»Nichts. Ich war in Gedanken.« Jetzt solltest du mich hassen können.
Nur dafür, dass du mich nicht ins Vertrauen ziehst, ergänze ich stumm. Du nicht, die Akademie nicht, und am allerwenigsten Quirin. Der Bewahrer, der unter anderem auch das Schweigen bewahrt, wenn es ihm in den Kram passt.
Ich hatte mich damit abgefunden, dass Unwissenheit der Preis für ein Weiterleben in relativer Sicherheit ist. Aber seit dieser letzten Begegnung mit Sandor ist Ahnungslosigkeit keine Option mehr. Es gibt einen Grund für die Situation, in der ich mich befinde, und ich werde ihn herausfinden. An dem einzigen Ort, dessen
Weitere Kostenlose Bücher