Die Wahrheit über Marie - Roman
Lichtbündel zwischen den Pferdehufen. Sie hatten sich nach draußen gerettet und fanden sich plötzlich in der absoluten Finsternis des Frachtraums wieder, wo das Brummen der Triebwerke in vervielfachter Stärke dröhnte. Das Pferd schlug weiter wild im Container, bewegte sich auf der Stelle vor und zurück, trat auf die Taschenlampe und zerstampfte sie wie eine Nussschale mit seinem Huf, pulverisierte sie mit einem Geräusch von zerbrechendem Glas, löschte mit einem Tritt das letzte noch verbliebene winzige Licht im Frachtraum. Die Box war jetzt in vollkommene Dunkelheit gehüllt, ausgefüllt mit der schwarzen Silhouette des Pferdes, nervös, unsichtbar, angsteinflößend bewegte es sich schnaubend in seinem engen Verschlag.
Eilig entfernten sie sich, wussten aber nicht, wohin sie sich wenden sollten, fanden die Leiter nicht mehr, die zu der Luke nach oben führte, irrten Seite an Seite durch die Dunkelheit auf der Suche nach einer Zuflucht oder irgendeinem Griff, an den sie sich hätten klammern können. Sie stolperten über Schienen, glitten auf Kugellagern und Laufrollen aus, konnten die Abstände der auf dem Boden montierten Walzen nicht mehr unterscheiden, sie verpassten die markierten Wege, wagten sich in die Mitte der Rollen, die nicht blockiert waren, sondern begannen, sich unter ihren Schritten zu drehen, und mit einem wahnsinnigen Getöse setzte sich der Mechanismus der Walzen in Bewegung. Sie tanzten auf der Stelle, auf dem unsicheren Boden, der unter ihnen auf Rollen fortbewegt wurde, machten weit ausholende Armbewegungen, um das Gleichgewicht zu halten, sie klammerten sich schwankend aneinander, stützen sich mit den Händen am Boden ab, Jean-Christophe de G. ließ schließlich seine Schüssel fallen, sie sahen, wie sie auf dem Boden wegrollte, vom Metall des Bodens wieder hochsprang, scheppernd hochgeschleudert bei jedem Stoß des Flugzeugs. Mühevoll suchten sie in der Dunkelheit den Weg zurück, nach vorn gebeugt, als würden sie gegen starken Wind ankämpfen müssen, sie orientierten sich an der Außenwand, an der eine Art natürlicher, enger Weg durch das Flugzeug führte. An der Frachtraumtür, die mit lautem Gerassel vibrierte, hielten sie inne. Bis in ihre Körper hinein spürten sie die Erschütterungen des Flugzeugs, all seine Schwingungen und seine Vibrationen unter dem Druck der Luftmassen und entfesselten Winde, gegen die die Maschine ankämpfte, und sie wussten, dass auf der anderen Seite der Bordwand, zehn, höchstens zwanzig Zentimeter von ihnen entfernt endgültige Nacht herrschte.
Sie hatten sich hingekauert und bewegten sich nicht mehr. Vor ihnen schaukelten die auf Paletten gelagerten Container mit beängstigendem Knarren und Kreischen der Metallbänder. Durch die Fensterluken erblickte man die regelmäßigen vom Flugzeug in die Nacht geschleuderten Blitze der Stroboskopleuchten, kurz, weiß, geräuschlos. Sie hatten vergessen, wo sie sich befanden. Durch die Dunkelheit hörten sie Zahir nur ein paar Meter von ihnen entfernt stöhnen, das Pferd hatte sich beruhigt, es gab nur noch wenige gedämpfte, heiser-klagende Geräusche von sich. Nur mit Mühe hielt es sich auf den Beinen, vor seinem Maul stand Schaum, der Speichel lief ihm hinunter, es versuchte nicht einmal, ihn zurückzuhalten, weißlich tröpfelte er seinen Kiefer herunter. Es schien unter Drogen gesetzt, derart wechselten sich die Zustände der Erregung und der Mattigkeit ab. Möglicherweise hatte man ihm direkt nach seinem Ausbruchsversuch ein Beruhigungsmittel gespritzt, das konnte sehr schnell geschehen sein, auch ohne Wissen von Jean-Christophe de G., intravenös, versteckt vor den Blicken anderer, ein Wattebausch getränkt mit Alkohol um die Einstichstelle am Hals, ein diskreter, kurzer Stich mit der Nadel in die Vene. Sein Puls, der beim Start auf über zweihundert Schläge angestiegen sein musste, schlug weiterhin unregelmäßig, obwohl er im Ruhezustand war, keine Anstrengung unternahm, nur in seiner Box das Gleichgewicht halten musste, sich nach jedem neuen Stoß des Flugzeugs wieder in Position bringen, wieder aufstellen, sich auf den Hinterbeinen abstützen musste, um die Stöße abzufedern. Zahir fühlte sich schlecht, es war ihm übel, er war vom Speichel besudelt. Unbeweglich und niedergeschlagen stand er da, mit geöffneten Augen und geblähten Nüstern. Armselig scharrte er mit der Spitze des Hufs im Stroh, grub sich ein Loch in den Boden, monoton, sinnlos. Er machte nichts, er litt, ein ungewisses
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