Die Widmung: Roman (German Edition)
Hawthorne gehalten.«
Der Arzt hob die Augenbrauen. »Kreativ. Na ja, in Anbetracht seiner Vergangenheit …«
Zee warf ihm einen finsteren Blick zu.
»Männer glauben oft, sie arbeiteten für die CIA , bei einer verdeckten Operation oder so. Bei Frauen sind solche Halluzinationen häufig eher sexueller Natur.« Er grinste sie an.
Zee ignorierte seine Bemerkung.
Neurologen haben einen etwas schrägen Sinn für Humor , hatte ihr Mattei schon mehrmals gesagt.
»Wir setzen es ab.«
»Das habe ich schon«, sagte sie. Nachdem sie den Arzt telefonisch nicht hatte erreichen können, suchte sie im Ärzteverzeichnis und rief einen Freund von Michael an, einen Neurologen. Es war nicht gefährlich, das Medikament plötzlich abzusetzen, man musste den Patienten nicht entwöhnen.
»Redet nicht über mich, als wäre ich nicht da«, sagte Finch. Seine Stimme, die einst kräftig genug gewesen war, um ohne Mikrofon einen Hörsaal mit hundert oder mehr Studenten auszufüllen, war jetzt kaum noch vernehmbar.
»Entschuldige, Dad«, sagte sie.
»Die Halluzinationen sind selten unangenehm. Für die Familie ist das meistens beunruhigender als für den Patienten.«
»Wie dem auch sei«, sagte sie und schloss damit jede Möglichkeit aus, das Medikament weiter zu verabreichen. Zee wunderte sich sehr, wenn sie daran dachte, welche Nebenwirkungen manche Ärzte ihren Patienten zumuteten. Bei jeder Fernsehwerbung für pharmazeutische Produkte wurde heute gleich eine Liste von Kontraindikationen mitgesendet, die so lang war, dass es Zee manchmal erstaunte, dass die Leute auch nur Aspirin nahmen.
Der Arzt stand auf. »Würden Sie ein Stück für mich laufen, Professor Finch?«
Finch stand zittrig auf. Ihr erster Impuls war es, ihm zu helfen, aber sie zwang ihre Hände ruhig zu bleiben.
Unter großen Mühen schlurfte Finch fünf Meter quer durch die Arztpraxis. Allein an seiner Atmung merkte Zee, wie schwer ihm das fiel. Sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt, ein klassisches Anzeichen für Parkinson.
Finch, früher ein reservierter Neuengland-Yankee, war mit dem Fortschreiten der Krankheit zunehmend emotional geworden. Doch diese Emotionen zeigten sich weder in seinem Gesicht noch in der Stimme oder im Tonfall. Es war eine subtilere Energie, die Zee verriet, wie frustrierend und beinahe unmöglich dieser kurze Gang für ihren Vater geworden war.
Sie hatte sich oft darüber gewundert, dass bei Finch nicht das Zittern auftrat, das bei den meisten Parkinson-Patienten zu beobachten war. Er hatte erst vor kurzem, zehn Jahre nach Ausbruch der Krankheit, eine Art Ruhezittern entwickelt, und selbst das war so schwach ausgeprägt, dass man es nie bemerken würde, wenn man nicht danach Ausschau hielt.
Seltsamerweise war keines dieser Symptome das erste Anzeichen für Finchs Krankheit gewesen. Den allerersten Anlass zur Sorge hatte ein Abend in einem Restaurant in Boston gegeben. Finch hatte sie zum Essen eingeladen, um gemeinsam das Erscheinen seines neuen Buchs zu feiern, das Melvilles Briefe an Hawthorne zur Grundlage hatte. Das Buch trug den treffenden Titel Eine dazwischenliegende Hecke – ein Zitat aus einer Kritik, die Melville einmal über ein Buch von Hawthorne geschrieben hatte.
Das Buch hatte Finch fast zehn Jahre lang in Anspruch genommen. Allein die Tatsache, dass er es nun fertiggestellt hatte, war Grund genug, um zu feiern; und die Tatsache, dass es einen Verleger gefunden hatte, bedeutete berufliche Sicherheit. Finch musste gar nicht arbeiten. Seine Familie hatte ihm Geld hinterlassen. Aber er liebte die Lehre, und über Hawthorne und die amerikanischen Romantiker zu lehren, war die größte Freude seines Lebens.
Finch überreichte ein Exemplar Zee und eines Melville, so hieß der Mann, dessentwegen Finch Zees Mutter verlassen hatte. Das erzählte Zee häufig, wenn jemand danach fragte, wobei das nicht ganz korrekt war. Denn Finch hatte Maureen eigentlich nie verlassen, obwohl er Melville bereits zum ersten Mal begegnet war, als Maureen wieder einmal längere Zeit im Krankenhaus verbringen musste. Und Melville hieß eigentlich Charles Thompson. Melville war ein Spitzname, den Finch ihm gegeben hatte, einer, der bleiben sollte.
Zee schlug die Titelseite auf, mit einer handschriftlichen Widmung an sie. Meiner lieben Hepzibah , hatte er in einer Handschrift geschrieben, die viel kümmerlicher war, als Zee sie in Erinnerung hatte. Tausend Dank . Zee überlegte, wofür er sich da wohl bedanken wollte – dann sah sie die
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