Die Zeitdetektive 01 Verschworung in der Totenstadt
werde ich auch da sein – mit meiner ganzen Familie!“
Kims Augen blitzten: „Die Priester, sagst du?“
„Ja, sicher. Nur sie dürfen die Barken der Götter berühren.“
„Das ist ja wirklich sehr interessant“, meinte Kim vielsagend. „Ich glaube, das Fest sollten auch wir uns nicht entgehen lassen, Jungs!“
Narbenhand
Weihrauch waberte durch den Tempel, in dem völlige Stille herrschte. Vorsichtig, als wollte er diese heilige Stille nicht stören, zerbrach der Oberpriester mit dem kahl rasierten Kopf das Lehmsiegel, das den Schrein des Amun schützte. Ein feiner Strahl der späten Nachmittagssonne hatte sich in den düsteren Raum verirrt und fiel jetzt auf die sitzende Statue von Amun. Seine große, göttliche Gestalt aus purem Gold blitzte auf. Ehrfürchtig trat der Oberpriester einen Schritt zurück.
„Imen wer er nechnech“, flüsterte er. Amun ist groß in Ewigkeit.
Dann legte er sich flach auf dem Boden, um dem Gott zu huldigen. Amun sah nachdenklich über ihn hinweg, mit kalten Augen aus Gold und einem sanften Lächeln, das ebenso wissend wie machtbewusst war. Nachdem der Oberpriester seine Gebete gemurmelt hatte, erhob er sich wieder und begann, den Gott neu einzukleiden. Heute, am Tag des Opet-Festes, gab er sich noch mehr Mühe als sonst. Amun bekam das beste Leinen, das im ganzen Land gefertigt wurde. Sobald der Oberpriester fertig war, gab er einigen untergeordneten Priestern ein Zeichen. Geräuschlos glitten die Diener des Gottes mit einem hölzernen, bootsförmigen Schrein heran und luden die schwere Statue hinein. Auf ein leises Kommando hoben die Priester die Last an. Der Gott war bereit, sich dem Volk zu zeigen. Der Oberpriester nickte den Männern zu und sie marschierten langsam aus dem Tempel. Über den Handrücken des Priesters, der vorne links ging, verlief eine gezackte Narbe.
Abertausende säumten den Weg, der von den Tempeln in Karnak zum Nil führte. Seit Stunden harrte das Volk aus. Wer konnte, hatte einen Platz möglichst dicht am Tempelbezirk ergattert, der ehrfürchtig Ipetisut, Auserwählte aller Stätten, genannt wurde. In der Menge brodelte es. Und in den Augen vieler Menschen lag ein seltsamer Glanz. Nur einmal im Jahr hatten sie die Gelegenheit, einen Blick auf ihren höchsten Gott zu werfen. Und diesen Moment wollte sich niemand entgehen lassen. Dass auch Hatschepsut, Mut und Month zu sehen sein würden, erhöhte den Reiz. Überall wurde getuschelt und gemurmelt, aber niemand wagte, die Stimme zu erheben. Auch Julian, Kim und Leon wurden von der allgemeinen Aufregung erfasst. Eine Zeit lang hatten sie nach Ani Ausschau gehalten, aber der war mit seiner Familie irgendwo im Gedränge verschwunden.
Nun starrten die Freunde wie alle anderen nervös auf den Soldaten, der allein und völlig regungslos vor dem Pylon des Amuntempels stand. Endlich kam Bewegung in ihn. Der Soldat hob langsam die Hand und reckte sie zum Sonnengott Re. Sofort erstarb jedes Gemurmel im Volk. Ein Musiker erschien neben dem Soldaten und begann, eine Trommel zu schlagen. Erst langsam wie der Schlag eines Herzens. Dann steigerte sich der Trommler, bis seine Hände mit den Schlegeln in einem rasenden Tempo über das Fell jagten. Abrupt stoppte der Wirbel. Alle hielten den Atem an. Endlich kam der Moment, auf den alle gewartet hatten: Das Tor zum Heiligsten des Heiligen öffnete sich. Heraus schritten die Priester mit den Barken, in denen die Götter thronten. Zuerst kam die Barke mit der göttlichen Hatschepsut. Die Anspannung des Volks entlud sich in ohrenbetäubendem Jubel. Die Herrscherin glitt auf einer Woge der Begeisterung an ihren Untertanen vorbei. Mit einem angedeuteten, souveränen Lächeln nahm die Pharaonin die Huldigungen entgegen. Sie trug die Doppelkrone, Krummstab und Wedel sowie einen feinen Mantel, der mit hunderten von Diamanten besetzt war.
„Eine schöne Frau“, flüsterte Leon verzaubert.
„Was für eine Pracht und ein Reichtum!“, sagte Julian fassungslos.
„Ihr sollt nicht auf die schöne Frau achten“, spottete Kim, „sondern auf einen Priester mit einer Narbe auf der Hand!“
„Klar, machen wir“, entgegneten Leon und Julian schnell. Sie drängten sich ein wenig nach vorn, um die Priester besser im Blick zu haben. Doch die Hände der Priester, die Hatschepsuts Barke trugen, hatten nicht einmal den kleinsten Kratzer. Nun gerieten die Barken der Götter Mut und Month ins Blickfeld der Freunde. Doch auch hier spähten sie vergeblich nach dem verräterischen
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