Drachenboot
dann sprang er an der Bordwand hoch, bekam den Rand mit seiner freien Hand zu fassen, und die anderen zogen ihn hinauf.
Gyrth sah mich an und fletschte seine gelben Zähne. Er musste gewusst haben, dass er nicht wieder an Bord kommen würde – vorher waren vier Männer nötig gewesen, um ihn hochzuziehen. Er drehte sich um wie ein Wirbelsturm aus fliegendem Fell und brüllte in die Dunkelheit, den Kopf zurückgelegt, die Arme ausgestreckt, in der Hand die große Axt.
»Orm!«, brüllte Finn, aber ich hackte auf das Tau ein,
das nach nur zwei Hieben nachgab; die Strug schwankte stärker und legte sich leicht auf die Seite. Jetzt hing sie nur noch an einem einzigen Tau, und ich sah, wie es zuckte und sich dehnte.
Ein Pfeil zischte über meine Stiefel und schlitterte durch den Schnee, ein weiterer fiel mir vor die Füße, und ich fühlte den Luftzug eines dritten an meiner Wange, als ich mich umdrehte, um das letzte Tau zu durchschlagen.
Ein Pferd kam im Dunkeln angestolpert, in seinen wilden Augen sah man fast nur das Weiße, die Nüstern gebläht. Sein Reiter stieß einen lauten Triumphschrei aus und hieb mit seinem Krummschwert nach mir, aber ich hatte mich bereits seitwärts zu Boden geworfen und holte mit der Axt aus.
Mit lautem Schmerzensschrei bäumte das Pferd sich auf, ein Vorderbein war zerschmettert, und der Reiter fiel aus dem Sattel und landete im aufstiebenden Schnee. Ich ging mit erhobener Axt auf ihn los und ließ sie so entschlossen niedersausen, dass ich mein Handgelenk erst im letzten Augenblick und nur mit äußerster Anstrengung drehen konnte. Die Klinge grub sich dicht vor dem kreideweißen Gesicht in den Boden, doch sie hatte eine der Flechten auf seiner Stirn mitgenommen.
»Dafür kannst du dich bei Morut bedanken«, knurrte ich Avraham an, der mit offenem Mund dalag. Ich zog die Axt heraus, wobei ein Hagel von kleinen Eisstückchen auf ihn niederging. Dann versetzte ich ihm mit dem stumpfen Ende einen Schlag zwischen die Augen.
»Orm!«
Finns Brüllen kam im letzten Moment; die Reiter waren schon fast bei uns, und ich sah in Gyrths schiefes, grinsendes Gesicht.
»Heya!«, schrie er, hob seine Langaxt und ließ sie auf
das Schiffstau fallen, das mit einem kleinen Eishagel abriss. Ich lag halb auf einem Knie, als die Strug ächzte und sich in Bewegung setzte, ein großes, schweres Tier auf hölzernen Kufen; das Eis splitterte und krachte, als sie durch ihr eigenes Gewicht anfing, den Hang hinunterzugleiten.
Plötzlich tauchte Gyrths Gesicht dicht neben meinem auf, so dicht, dass ich seinen stinkenden Atem und seine wilden Augen wahrnahm, die mich anstarrten.
»Spring«, sagte er, dann war er weg und stürzte sich in die Menge der Reiter. Ein Pfeil traf ihn, doch der schien nicht viel mehr auszurichten als ein Holzsplitter im Finger. Ich sah, wie er die Zügel eines Pferdes ergriff und es fast in die Knie zwang, dann schmetterte er den Kopf der Axt ins Gesicht des Reiters. Das Pferd kämpfte und versuchte, sich zu befreien, doch Gyrth rammte seinen eigenen Kopf mit dem Helm gegen die Blesse des Tieres, sodass es mit einem Grunzen in die Knie ging und die Augen verdrehte.
Immer mehr Reiter kamen aus der Dunkelheit, und ich hörte, wie er ihnen seinen Namen entgegenbrüllte. »Steinnbrodir! Hier ist Steinnbrodir!«
»Orm, du Vollidiot – das Tau!«
Finns Schrei brachte mich zur Besinnung, und die Welt drehte sich wieder. Das Tau, das über den Boden schleifte, glitt weg, und ich bekam es gerade noch mit der linken Hand zu fassen. Es war vereist und rutschte mir durch die wenigen Finger, die ich an dieser Hand hatte, also ließ ich die Axt fallen und ergriff es mit der anderen Hand.
Der Ruck ließ meine Muskeln vor Schmerz aufschreien, aber jetzt hielt ich es mit beiden Händen fest, und in einem Wirbel aus Sternen und Schneegestöber wurde ich von dem hüpfenden und krachenden Schiff, das sich auf seinen hölzernen Kufen benahm wie ein bockendes Pferd, den Hang hinuntergezogen. Einer von Wladimirs
Druschina kam in seinem langen Kettenhemd angerannt, um uns anzugreifen, doch die Strug, die immer schneller wurde, machte einen Satz, und er wurde mit gebrochenen Knochen zur Seite geschleudert.
Dann gab es einen lauten Knall, und alle möglichen Sachen flogen durch die Luft; doch ich hielt fest, ich war wie verloren in diesem Chaos aus Eis und Schmerzen. Mit dem letzten Rest meines Wahrnehmungsvermögens sah ich das hölzerne Gestell hinter mir splittern und davonfliegen, und Wladimirs
Weitere Kostenlose Bücher