Draußen wartet die Welt
neues Verständnis für ihr eigenes Leben zu entwickeln. Ich erinnerte mich wieder daran, was sie zu mir gesagt hatte, als ich mich bei ihrem Scheunenrichtfest über unsere Mutter beschwert hatte. »Du denkst, Mutter sei gegen dich, aber das ist sie wirklich nicht.« Und dann hatte sie hinzugefügt: »Vertrau mir«, so als wisse sie mehr als ich. Und es stimmte.
»Margaret war immer so eine gute Amische«, sagte ich.
»Ich fürchte, das war teilweise auch meine Schuld«, erwiderte meine Mutter. »In diesen ersten Jahren war mir immer sehr bewusst, woher Margaret stammte. Ich schätze, ich war strenger mit ihr als mit euch anderen. Ich war wild entschlossen, sie zu einem guten amischen Mädchen zu erziehen, damit nie der geringste Zweifel daran aufkam, wohin sie gehörte.«
Aber es gab noch etwas, was ich wissen wollte. »Warum hast du eingewilligt, mich gehen zu lassen, nach allem, was dir passiert ist? Und Tante Beth?«
Meine Mutter stützte sich auf ihren Ellbogen auf, um mich anzusehen. »Dein Vater wollte dich gehen lassen, weil all das passiert ist«, antwortete sie. »Er hat mir erzählt, dass er sich immer gefragt hat, wie sich die Dinge wohl entwickelt hätten, wenn meine Eltern Beth bei ihrem Rumspringa hätten ziehen lassen. Er vermutet, wenn sie Beth diese andere Welt hätten sehen lassen, hätte sie sich vielleicht für unsere entschieden.«
»Und du?«, fragte ich. »War das auch dein Grund?«
»Nein«, erwiderte sie. »Mein Grund befand sich im Atlas.«
Ich setzte mich auf, schaute sie an und wartete darauf, dass sie es mir erklären würde. »Ich habe in den Atlas geschaut, nachdem Mrs Aster mir gesagt hatte, wo sie wohnt. Dann habe ich gesehen, wie nah ihre Stadt an Evanston liegt. Ich wollte, dass du meine Schwester findest.«
Kapitel 31
Der Besuch meiner Mutter verging wie im Flug. Tante Beth hatte sich ein paar Tage freigenommen und die Zeit komplett verplant. Wir gingen ins Kunstmuseum, ins Haus der Geschichte und in den botanischen Garten. Einen Abend verbrachten wir bei einem Sinfoniekonzert unter freiem Himmel, in einem Meer aus Picknickdecken und im Schein unzähliger Insektenkerzen.
Manchmal leistete Onkel John uns Gesellschaft, aber an den meisten Abenden zog er sich nach dem Abendessen in sein Arbeitszimmer zurück. Es war das Ende des Sommersemesters, und er war damit beschäftigt, Examensprüfungen zu korrigieren und Unterrichtspläne für den Herbst zu erstellen. Aber ich vermutete, dass er unsere gemeinsame Zeit nicht allzu sehr stören wollte. Ich versuchte, Josh jeden Tag anzurufen, und sei es nur, um zu hören, wie sehr er sich darüber freute, meine Stimme zu hören.
Mit größter Spannung erwartete ich das Musiktheaterstück, von dem meine Tante mir erzählt hatte. Als der Abend der Aufführung endlich kam, betrat ich das Theater mit einer freudigen Aufregung, die ich nicht mehr gespürt hatte, seit bei meinem ersten Kinobesuch die Lichter ausgegangen waren. Aber anders als in den Filmen waren die Menschen hier real und sie standen nur wenige Meter von uns entfernt. Viel zu schnell war alles vorbei, und als sich die Schauspieler auf der Bühne versammelten, um sich vor dem Publikum zu verbeugen, war ich ein wenig traurig darüber, mich von ihnen verabschieden zu müssen.
Während wir das Theater im langsamen Strom der Zuschauermenge verließen, blieb ein kleines Mädchen neben uns stehen und zeigte auf meine Mutter. »Hast du auch mitgespielt?«
»Es tut mir leid«, entschuldigte sich die Mutter des Mädchens und zog die Kleine tadelnd an ihrem ausgestreckten Finger. Mehrere Köpfe drehten sich zu uns um und wir wurden von allen Seiten angestarrt.
Meine Mutter lächelte das Mädchen an und sagte: »Nein, ich habe nicht mitgespielt. So ziehe ich mich immer an.«
Die Mutter riss das Mädchen fort und die Menge bewegte sich wieder in Richtung Ausgang. Ich konnte das Gemurmel um uns herum hören. »Muss eine Amische sein«, flüsterte ein Mann nicht besonders leise.
Beth drehte sich um und sah sich mit verärgertem Gesichtsausdruck nach der Quelle der geflüsterten Bemerkung um. Schließlich erreichten wir die Tür, traten in die kühle Abendluft hinaus und gingen schweigend zu unserem Wagen.
Im Auto stieß Beth einen Seufzer aus. »Immer diese Gafferei.«
»Lass gut sein, Beth.« Die Stimme meiner Mutter wirkte ruhig, aber in ihren Worten schwang trotzdem eine gewisse Anspannung mit. »Wenn wir uns dafür entscheiden, anders zu sein, müssen wir auch mit einer
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