Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
habe ich mich daran erinnert, dass Anne gesagt hat, ihr Verlobter liebe den Wettkampf. Aber macht der auch mal Pause? Was findet sie überhaupt an diesem Fatzke? Ist wahrscheinlich eher was Physisches. Darf gar nicht daran denken.
Ganz unten im »Familienurlaub« steht das Motto des Tages: »Nur wer sich fallen lässt, wird glücklich.«
Auf dem Weg zum Zimmer gehe ich am Ehepaar Eisenstein vorbei. Ich nicke den beiden freundlich zu. Im Vorübergehen höre ich Oma Eisenstein etwas wispern, ein verschwörerisches »Pst« wie von einem Drogenhändler.
Opa Eisenstein ist in den Artikel über Mr. Perfect vertieft. Seine Frau deutet auf das Cover und zwinkert mir zu. Sie bewegt die Lippen. Was flüstert sie da? Ich komme näher, um sie besser zu verstehen. Jetzt sehe ich, dass ihre Lippen einen Kussmund formen! Offenbar hat sich die gute Frau heute Morgen in der Tablettenschachtel geirrt und die Viagra ihres Mannes erwischt. Mir wird ganz flau im Magen.
Mr. Perfect schlägt vor, dass wir seinen Wagen nehmen, weil der geräumiger sei als der Mustang und eine Klimaanlage habe. »Da können wir bei dem schwülen Wetter die perfekte Temperatur für Leonie einstellen.«
Ein Audi RS 5, um die 400 PS. Leider fährt er die auch in den Serpentinen voll aus.
»Karussell«, freut sich Leonie, wenn uns die Schwerkraft wieder von innen gegen die Türen presst. Ihr Jauchzen stachelt Mr. Perfect noch mehr an. Dessen Fahrweise wiederum stachelt meinen Magen an.
Als wir wenig später vor dem Eingang zur Family-Fun-Farm-Furten parken, ist mir so übel wie damals nach dem Apfelkornwettsaufen auf der Mittelstufenparty.
Die Fun-Farm-Furten bietet laut einer schatzkartenartigen Informationstafel am Eingang »das Beste aus allen Welten«: ein bisschen Disneyland, ein bisschen Abenteuerspielplatz, ein bisschen Zoo hier, ein wenig Natur da, grellbunter Nippes überall.
Am Eingang treffen wir Familie Fröhlich. Bei ihrem Anblick wird mir gleich noch elender zumute.
»Hallöchen, Popöchen«, grüßt Herr Fröhlich überschwänglich und blitzt mir schon wieder mit seinem Fotoapparat ins Gesicht. Seine Tochter scharwenzelt um Leonie herum und versucht sie auf den Arm zu nehmen, obwohl sich die Kleine nach Leibeskräften wehrt. Erst Frau Fröhlich gelingt es, Paula von Leonie abzulenken, indem sie ihre Tochter bittet, doch auszurechnen, ob wir alle zusammen mit Gruppenrabatt oder jeweils zu fünft mit Familienrabatt günstiger dran sind. Wie befürchtet, bietet sich für uns alle der Gruppenrabatt an – allerdings gilt der nur, wenn wir zusammen kommen und auch zusammen gehen.
»Vielleicht wollt ihr ja viel länger bleiben?«, wage ich mich vor.
»Dann bleibt ihr eben auch noch«, beschließt Herr Fröhlich und fügt oberlehrerhaft hinzu: »Eure Tochter wird es euch danken.«
Wir zahlen hundert Euro mit Gruppenrabatt, was mir eher wie ein Aufpreis vorkommt – weil ich zahle. Erstaunlich routiniert vergisst Herr Fröhlich, mir mein Geld sofort zurückzugeben, und vertröstet mich auf unsere Rückkehr.
Direkt hinter dem Eingang lockt ein riesiges Bällebad. Dagegen wirkt das von Ikea wie eine Kinderbadewanne. Anne stellt sich zwischen Leonie und das Becken. »Wenn sie da einmal drin ist, kriegen wir sie nie wieder heraus.«
Danke für die Idee.
Gerade will ich Leonie in Richtung Bällebad schieben oder rufen: »Schau mal, was da ist!«, da bimmelt das erste Fahrgeschäft direkt in unser Blickfeld. Nein, es hüpft: ein grüner Zug, der aussieht, als hätte er einen Motorschaden. Die Familien in den kleinen Anhängern werden hin und her geschleudert. Die Kinder lachen, die Erwachsenen dagegen wirken so, als müssten sie sich gleich übergeben. Das Bild würde sich prima als Aufmacher für meine Story eignen.
»Oh, ein Frosch!«, ruft Leonie und jauchzt. Der Family-Fun-Farm-Furten-Frog hält direkt vor uns.
»Bitte ein Familienfoto!«, dränge ich Herrn Fröhlich, schiebe Mr. Perfect beiseite und stelle mich mit Anne und Leonie vor den Zug. Artig posieren sie, während im Hintergrund die kreidebleichen Eltern an den Händen ihrer Kinder aus dem Zug steigen. Hoffentlich ist die Auflösung von Fröhlichs Kamera so gut, dass wir sein Bild nachher doppelseitig drucken können.
Vor lauter Aufregung vergesse ich meine eigene Übelkeit.
»Bitte noch ein zweites quer, damit man auch die anderen Familien im Hintergrund sieht«, fordere ich und rücke mit meiner Leihfamilie noch etwas näher an den Zug. Anne schaut mich verwundert an,
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