Dune 05: Die Ketzer des Wüstenplaneten
andere kontrollieren, wenn du dich nicht selbst beherrschen kannst?«
»Ich mag dieses Fach nicht.«
»Keiner von uns hat es gern ... – aber später, wenn wir seinen Wert aufgrund von Erfahrungen schätzen gelernt haben ...«
Wie erwartet, hatte diese Antwort Sheeana sehr nachdenklich gestimmt. Und dann hatte sie alles enthüllt, was sie über den Tanz wußte.
»Manche Tänzer entwischen. Andere gehen geradewegs zu Shaitan. Die Priester sagen, daß sie zu Shai-Hulud gehen.«
»Und was ist mit denen, die überleben?«
»Wenn sie sich erholen, müssen sie an einem großen Tanz in der Wüste teilnehmen. Wenn Shaitan dann kommt, sterben sie. Wenn Shaitan nicht kommt, werden sie belohnt.«
Odrade hatte das Muster durchschaut. Die erklärenden Worte Sheeanas, die über diesen Punkt hinausgingen, wären gar nicht mehr nötig gewesen; dennoch hatte sie sie weiterreden lassen. Wie bitter Sheeanas Stimme geklungen hatte!
»Sie kriegen Geld, einen Platz im Basar; so sieht die Belohnung aus. Die Priester sagen, sie hätten ihre Menschlichkeit bewiesen.«
»Sind jene, die es nicht schaffen, dann unmenschlich?«
Sheeana war für eine geraume Weile zutiefst nachdenklich gewesen. Für Odrade war die Sache jedoch klar: die Menschlichkeitsprüfung der Schwesternschaft! Sheeana hatte diese Prüfung bereits hinter sich gebracht. Wie leicht dieser Übergang im Vergleich mit den anderen Schmerzen erschienen war!
Im matten Licht des Museums hob Odrade die rechte Hand, sah sie sich an und dachte an die Agoniebox und das direkt auf ihren Hals zielende Gom Jabbar: beim geringsten Zurückzucken oder Aufschrei hätte es sie getötet.
Sheeana hatte ebenfalls nicht aufgeschrien. Aber sie hatte die Antwort auf Odrades Frage schon vor der Agoniebox gekannt.
»Sie sind menschlich – aber anders.«
Angesichts der ausgestellten Relikte aus dem Nicht-Raum des Tyrannen sagte Odrade vor sich hin: »Was hast du mit uns vor, Leto? Bist du nur der Shaitan, der zu uns spricht? Was würdest du uns jetzt gern aufzwängen?«
Würde aus dem fossilen Tanz eine fossile Geschlechtlichkeit werden?
»Mit wem redest du, Mutter?«
Es war die Stimme Sheeanas, die von der offenen Tür her durch den Raum drang. Ihre graue Kandidatinnenrobe war nur eine verwaschene Silhouette, die größer wurde, während sie sich näherte.
»Die Mutter Oberin hat mich zu dir geschickt«, sagte Sheeana, als sie in Odrades Nähe stehenblieb.
»Ich habe mit mir selbst gesprochen«, sagte Odrade. Sie musterte das seltsam stille Mädchen und erinnerte sich an die übelkeiterzeugende Erregung des Augenblicks, in dem man Sheeana die Kernfrage gestellt hatte.
»Möchtest du eine Ehrwürdige Mutter werden?«
»Warum führst du Selbstgespräche, Mutter?« In Sheeanas Stimme klang Besorgnis mit. Die Ausbilderinnen würden eine Menge Arbeit haben, ihr diese Emotionen auszutreiben.
»Mir fiel gerade ein, wie ich dich fragte, ob du eine Ehrwürdige Mutter werden willst«, sagte Odrade. »Und das führte mich zu weiterem Nachdenken.«
»Du sagtest, ich müsse mich dir in allen Dingen unterordnen, dürfe dir nichts verschweigen und niemals ungehorsam sein.«
»Und du sagtest: ›Ist das alles?‹«
»Ich wußte nicht viel, nicht wahr? Ich weiß immer noch nicht viel.«
»Das geht uns allen so, Kind. Wir wissen nur, daß wir alle aufeinander angewiesen sind. Und daß Shaitan ganz bestimmt kommt, wenn die Geringste unter uns versagt.«
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Wenn Fremde einander begegnen, sollte man auf unterschiedliche Sitten und Schulung allergrößte Rücksicht nehmen.
Lady Jessica
›Die Weisheit von Arrakis‹
Als Burzmali das Zeichen zum Aufbruch gab, fiel gerade das letzte grünliche Licht über den Horizont. Als sie die andere Seite Ysais erreichten und die Ringstraße fanden, die sie zu Duncan führen würde, war es dunkel. Der Himmel war von Wolken bedeckt und reflektierte die Lichter der Stadt auf die Umrisse der vorstädtischen Hütten, zwischen denen sie hinter ihren Führern hergingen.
Die Führer störten Lucilla. Sie erschienen aus Seitenstraßen und sich plötzlich öffnenden Haustüren und flüsterten ihnen Richtungswechsel zu.
Zu viele Menschen wußten von dem flüchtenden Paar und dem geplanten Treffen.
Ihre Haßgefühle hatte sie zwar in den Griff bekommen, aber in Lucilla war ein tiefes Mißtrauen zurückgeblieben, das sich gegen jede Person richtete, die sie sahen. Und dieses Gefühl hinter der mechanischen Verhaltensweise einer Spielfrau zu verstecken, die
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