Dunkle Häfen - Band 2
küsste ihre Finger.
"Ich liebe dich..." , flüsterte er. "Wirst du mich noch einmal küssen?"
"Ja, natürlich. Und zweifle nie daran, dass auch ich dich auf meine Weise genauso geliebt habe. Du bist ein wunderbarer Freund."
Leicht drückte sie ihren Mund auf den seinen. Mit leidenschaftlicher Verzweiflung zog er sie dicht ans Gitter, bis sie sich berührten. Er wollte sie nie wieder loslassen. Doch sanft löste sie sich wieder von, weil der Wächter sich wieder räusperte.
"Du musst jetzt gehen. Kehre ins Leben zurück. Weißt du noch, wie du mich damals dazu gezwungen hast, weiterzuleben? Es war nicht umsonst! Und ein letztes noch, bevor du gehst: Finde an meiner statt die Schuldigen am Tod meines Mannes. Räche ihn. Mit diesem Wissen kann ich morgen leichter in den Tod gehen."
Verständnislos schüttelte er den Kopf. Er konnte nicht glauben, dass sie wirklich sterben sollte. Sie ließ seine Hand los und schob ihn von sich. Taumelnd folgte er dem besorgt wartenden Wächter. Ein letzter Blick zurück. Sie stand noch an das Gitter gedrückt, mit einem Ausdruck der Furchtlosigkeit. Er stolperte die Treppe hinauf. Es konnte einfach kein Abschied für immer sein.
Ramis sah den entschwindenden Menschen nach. Die mühsam aufrecht erhaltene Tapferkeit fiel wie ein Gewand von ihr ab. Hier gab es niemanden mehr, dem sie Kraft geben musste. Immerhin war nun alles geregelt. Fast alles. Ich werde nie wissen, was aus der Fate mit ihrer Mannschaft und vor allem aus Fanny und William geworden ist. Sie sackte auf den Boden zurück. Die Gedanken ließen sich nicht mehr zurückhalten. Wie eine Welle brachen sie über sie herein. Sie stöhnte. Die dahinfließenden Stunden raubten ihr zunehmend die Besinnung. Fieberträume voller Ängste aus der Vergangenheit suchten sie heim. Sie schlug sich die Fäuste an den Wänden wund. Im Dunkeln glaubte sie, Geister von Toten zu sehen und auf dem Boden blutdurchtränktes Stroh. Sie war wieder das kleine Mädchen, hilflos seinem Grauen gegenüber. Stumme Schreie in dicken Kerkermauern.
Der Marquis konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, als er nach Hause fuhr. Dennoch fiel ihm plötzlich ein gezischter Satz wieder ein, den er vor einer Weile einmal gehört hatte:
"Ich werde ihr alles nehmen! Alles!" , hatte eine bestimmte Dame einmal außer sich gerufen, nach einem Streit mit Ramis.
Wie hatte er so blind sein können! Er gab dem Kutscher neue Anweisungen. Bald würde er sein Versprechen einlösen, die Mörder mussten sterben. Die Comtesse würde sich über diesen Besuch nicht freuen.
Als er in ihrem Haus vorgesprochen hatte, teilte ihm ein verängstigtes Dienstmädchen mit, dass die Comtesse nicht da sei. Sie sei noch in den Tuilerien.
Er fand die Dame auf dem Balkon des Palastes, wo sie alleine wandelte. Es war stockfinstere Nacht, nur ein paar Laternen erhellten den Weg. Lächelnd erwartete sie ihn.
"Oh, mon amour! Habt Ihr mich schon vermisst? Es ist gut, wenn Ihr nicht um dieses Miststück trauert. Sie ist es nicht wert."
Sie schnaufte überrascht auf, als er sie hart packte.
"Schweig, du miese Schlange! Sie ist so viel mehr wert als du!"
Er zerrte sie zum Geländer und presste sie dagegen. In ihren Augen leuchtete das Weiß auf, als sie nach dem kleinen Messer schielte, das er an ihren Hals hielt.
"Und jetzt sagst du endlich die Wahrheit oder du hast das letzte Mal gelogen! Wer hat den Herzog umgebracht?"
Die Klinge lag kalt auf ihrer Haut. Die Comtesse begann schrill zu kichern.
"Hast du geglaubt, ich würde mich einfach demütigen lassen? Ich sehe, du hast keine Ahnung, welche unbeschreiblichen Ausmaße mein Hass hat!"
"Doch, ich kann es in diesen Augen lesen."
"Ich dachte nur noch daran, es ihr heimzuzahlen! Und jetzt, sieh ‘ sie dir an! Ist es nicht das Schicksal, das ihr vorherbestimmt war? Der Kreis schließt sich. Wie kannst du mich tadeln? Du hast sie gestern Nacht ebenfalls verraten! Ich weiß, wie sehr du die Zeit in meinem Bett genossen hast! Ich habe diese Welt nur von einem großen Übel befreit!" Sie lachte wieder wie wahnsinnig.
Das Messer ritzte tiefer in ihre Haut und hinterließ ein rotes Rinnsal. Sie verstummte und Furcht blitzte in ihren Augen auf. Instinktiv lehnte sie sich weiter zurück, bis ihr Körper halb über dem Geländer der Terrasse hing.
"Also hast du ihn umgebracht?" Seine Stimme klang gefährlich.
Sie wand sich. Vielleicht erkannte sie nun, dass er seine Drohung wahrmachen würde.
"Ich nicht! Es gibt so viele, die dem
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