Dunkles Feuer
sehen könntest, die er dir nachwirft, wenn du das Zimmer verlässt oder die tiefe Sorge, wenn etwas nicht stimmt. Oder wenn du sein blutleeres Gesicht gesehen hättest, jedes Mal, wenn du mit Daniel weggegangen bist.«
Julie biss sich auf die Unterlippe. »Was soll ich denn jetzt bloß tun?«
»Es ihm auf keinen Fall verraten.«
»Und wie lange soll das gehen? Er muss die Wahrheit erfahren, damit er endlich anfangen kann, sein eigenes Leben wieder zu leben. Ich kann ihn doch nicht ewig so hinhalten. Was soll ich nur tun?«
»Ich weiß es nicht, Julie.«
Sie drückte seine Hand. »Könntest du mich vielleicht für eine Weile allein lassen? Ich meine, ganz allein.« Sie wandte ihren Blick ab. Dann atmete sie tief durch und schüttelte den Kopf. »Ich muss damit erst einmal zurechtkommen.« Frederik schaute sie lange an, bevor er wie geheißen tat und sie verließ. Er hoffte sehr, dass er keinen Fehler begangen hatte.
Kapitel 8
Peter merkte, dass Julie auffallend still beim Mittagessen war. Er seufzte innerlich. Er konnte sich fast gar nicht mehr daran erinnern, wie es war, sich nicht ständig Sorgen um sie machen zu müssen. In letzter Zeit schien sie immer irgendetwas zu haben. Er fragte sich langsam, ob er es sich nicht doch nur einbildete. Ein Mensch konnte doch unmöglich so viele Stimmungsschwankungen erleben wie Julie in den letzten paar Wochen. Doch wenn er sie so beobachtete, wie sie nachdenklich auf ihre leere Gabel starrte, nur um im nächsten Augenblick ihm übertrieben freundlich zuzulächeln, war er sich sicher, dass wieder einmal etwas ganz und gar nicht stimmte.
Er legte seine Gabel hin. »Also, willst du mir endlich sagen, was los ist, oder muss ich raten?«
»Was? Oh, ich habe nur über diese antike Vase gegrübelt, die ich vorhin gefunden habe. Nichts weiter. Verzeih mir, jetzt hast du meine volle Aufmerksamkeit.« Sie lächelte schon wieder.
Peter hasste das Gefühl, dass sie ihm nicht die Wahrheit sagte, und er hasste es noch mehr, weil er das Gefühl nicht zum ersten Mal verspürte. Müde wischte er sich über das Gesicht. So kam er nicht weiter. Am liebsten hätte er sie an den Schultern gepackt und sie so lange geschüttelt, bis sie ihm sagte, was dieser komische Blick zu bedeuten hatte, mit dem sie ihn anschaute. War es Schmerz, Zärtlichkeit, Mitleid? Und wieso?
»Sollen wir vielleicht etwas zusammen unternehmen? Hättest du Lust spazieren zu gehen, Peter?«
Überrascht blickte er auf. »Werde ich bald sterben, oder was ist hier los?« Es klang verbitterter als er es wollte.
Julie erbleichte und hielt den Atem an. Nach einigen Sekunden atmete sie wieder aus. »Wow, das hat gesessen.«
Peter erhob sich und streckte seine Hand nach ihr aus »Es tut mir leid, es sollte nicht so klingen ...«
Julie hob abwehrend die Arme und atmete tief durch. Dann ging sie plötzlich auf ihn zu und schmiegte sich an seine Brust. Hilflos legte Peter seine Arme um sie. Er spürte, wie sie schluchzte. Nach einer Weile löste sie sich von ihm und blickte ihn traurig an. »Es tut mir so Leid, dass ich dich vernachlässigt habe. Irgendwie bin ich in letzter Zeit nicht ich selbst gewesen.«
Es war ihr also auch aufgefallen. Er wollte etwas sagen, doch sie sprach weiter. »Du bist immer für mich da gewesen, wenn ich dich gebraucht habe. Ich möchte, dass du weißt, dass du der letzte Mensch auf Erden bist, dem ich absichtlich Schmerz zufügen würde.« Sie schluckte und blickte ihm dann ganz fest in die Augen. »Näher als du könnte mir ein leiblicher Bruder nicht stehen. Ich hoffe, du weißt, dass du nie eine treuere und liebevollere Schwester haben könntest als mich, Peter.«
Er drückte ihren Kopf wieder auf seine Brust, damit sie sein Gesicht nicht sehen konnte. In ihrem Blick lag soviel aufrichtige Liebe und Mitleid, und ihre Worte hätten nicht deutlicher sein können. Er hatte es eigentlich schon lange gewusst und sich trotzdem an die Hoffnung geklammert. Und auch jetzt noch wehrte sich sein Innerstes dagegen, diesen Strohhalm aufzugeben. Solange es keinen anderen gab, der sie ihm endgültig wegnahm, solange würde er noch Hoffnung haben.
»Na gut, Schwester«, er bemühte sich um einen lockeren Ton. »Das waren jetzt genug Gefühlsausbrüche für einen Nachmittag. Was meinst du, sollten wir nicht wieder an die Arbeit gehen?«
»Ich war ja für einen Spaziergang, aber wenn du unbedingt auf Arbeit bestehst ... Aber versprich mir, dass wir ihn demnächst mal nachholen, O. K.?«
Als Julie nach oben kam,
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